Fal­sche Ver­däch­ti­gun­gen oder die Nach­we­hen vom Betze

3 Mai 2014 | Repression

Erin­nert ihr euch noch an die letzte Sai­son und das Spiel in Kai­sers­lau­tern? Genau, Dynamo hatte an einem Frei­tag­abend die erste Begeg­nung bei­der Ver­eine seit 18 Jah­ren ver­lo­ren und das sehr ein­deu­tig. Die­ser Punkt wurde danach jedoch zur Neben­sa­che, denn das Haupt­au­gen­merk in der Bericht­erstat­tung in den Wochen danach rich­tete sich viel­mehr auf die Begleit­erschei­nun­gen nach dem Spiel.

Als die mit FCK-Fans voll besetz­ten Shuttle-Busse der Ver­kehrs­be­triebe Kai­sers­lau­tern durch die Masse der abrei­sen­den Fans geschickt wur­den, kam es zu Über­grif­fen. Dabei wur­den zwei Per­so­nen ver­letzt — eine Frau erlitt einen Schock, ein Bus­in­sasse zog sich durch umher­flie­gende Glas­split­ter Schnitt­wun­den zu. Wei­tere Ver­letzte waren nicht zu ver­zeich­nen. Der zustän­dige Ein­satz­lei­ter Franz-Josef Brandt ließ sich spä­ter mit fol­gen­dem Satz zitie­ren: „Unser Ein­satz­kon­zept hat heute wei­test­ge­hend gegrif­fen.“ Das mediale Echo auf die Vor­fälle war jedoch gewal­tig. Gleich­zei­tig bedeu­te­ten die damit für die Öffent­lich­keit geschaf­fe­nen Schre­ckens­sze­na­rien einen extrem hohen Fahndungs- und Erfolgs­druck für die zustän­di­gen Ermittlungsbehörden.

Wozu die­ser Erfolgs­druck führte und wel­che unvor­stell­ba­ren Aus­maße an Skru­pel­lo­sig­keit dabei ange­wen­det wur­den, soll am fol­gen­den Bei­spiel eines Dynamo-Fans dar­ge­stellt wer­den. Sein vol­ler Name ist uns bekannt, aber auf­grund des Schut­zes sei­ner Pri­vat­sphäre soll er im nach­fol­gen­den Text nur Olaf genannt werden.

Olaf ist ein Mann im gesetz­ten Alter, ver­hei­ra­tet, Vater eines Soh­nes und steht fest im Berufs­le­ben. Soweit es sein Ter­min­plan erlaubt, besucht er regel­mä­ßig die Heim­spiele unse­rer Mann­schaft. Ansons­ten ver­sucht er in jeder Sai­son zu ein paar Aus­wärts­spie­len zu fah­ren. Kai­sers­lau­tern war eines die­ser Spiele. Gemein­sam mit ein paar Freun­den orga­ni­sierte Olaf einen Spiel­be­such samt Über­nach­tung in der Stadt. Nach dem Abpfiff ver­lie­ßen er und seine Beglei­ter sehr zügig den Betzenberg.

Aus Erfah­rung weiß er, dass es auf der Abreise immer wie­der zu Staus und ande­ren Ärger­nis­sen kom­men kann. Aus die­sem Grund zogen sie es vor, einem Taxi zu ihrer Unter­kunft zu kom­men. Am dar­auf fol­gen­den Tag ging es „ab nach heeme“. Was ihm dort aller­dings ein paar Monate spä­ter im April wider­fah­ren sollte, hätte er nicht erwar­tet. Da Olaf in der Gas­tro­no­mie tätig ist, war er an jenem Tag bereits auf den Bei­nen, als er sehr zei­tig und über­ra­schend Besuch von der Poli­zei bekommt. Auf­grund eines vor­lie­gen­den Haft­be­feh­les wurde er direkt in das Dresd­ner Poli­zei­prä­si­dium auf der Schieß­gasse gebracht, wo er einem zustän­di­gen Haft­rich­ter vor­ge­führt wurde. Erst dort erfuhr er, in wel­chem Zusam­men­hang über­haupt gegen ihn ermit­telt wurde und was der Grund für seine Fest­nahme war.

Der Tat­vor­wurf umfasste schwe­ren Land­frie­dens­bruch sowie Kör­per­ver­let­zung und einige wei­tere Punkte. Vor Ort wurde er von den Beam­ten unter Druck gesetzt und sollte aus­sa­gen, was er in Kai­sers­lau­tern ange­stellt habe. Olaf war der­ma­ßen per­plex, dass er nicht ein­mal auf die Idee kam, einen Anwalt zu kon­tak­tie­ren. Nach etwa fünf­zehn Minu­ten däm­merte den Beam­ten, dass sie sich mäch­tig ver­grif­fen hat­ten. Für Olaf war an die­sem Punkt aber noch nicht Schluss, sein Mar­ty­rium ging wei­ter. Wäh­rend er auf dem Poli­zei­prä­si­dium ver­hört wurde, durch­such­ten Beamte sein Haus in länd­li­cher Umge­bung. Es wurde sprich­wört­lich auf den Kopf gestellt.
Zur glei­chen Zeit war die Poli­zei auch bei sechs wei­te­ren „Tat­ver­däch­ti­gen“. Teil­weise mit Unter­stüt­zung des SEK. Gesucht wurde nach Waf­fen und ande­ren Gegen­stän­den. Selbst der im Gar­ten befind­li­che Kanin­chen­stall wurde einer Über­prü­fung unter­zo­gen. Gefun­den wurde letzt­lich nichts! Nach­dem Olaf auf­grund die­ser Tat­sa­chen wie­der frei­ge­las­sen wer­den musste, nahm er sich anwalt­li­che Unterstützung.
Aus den bean­trag­ten Ermitt­lungs­ak­ten, in wel­che nach mehr­ma­li­ger Ableh­nung erst ein knap­pes hal­bes Jahr spä­ter Ein­sicht genom­men wer­den konnte, stellte Olaf zusam­men mit sei­nem Anwalt fest, dass sein Handy bereits seit Mona­ten über­wacht wor­den war — zudem war sein Haus rund 24 Stun­den vor der Durch­su­chung obser­viert wor­den. Hinzu kommt, dass etwa ein Drit­tel der an dem Tag täti­gen Beam­ten, ins­ge­samt etwa 100 Per­so­nen, extra aus Rheinland-Pfalz gekom­men waren, um die Durch­su­chun­gen per­sön­lich vor­zu­neh­men (unter ande­rem das oben ange­spro­chene SEK).

Erst nach etwas mehr als einem hal­ben Jahr wur­den alle Ankla­ge­punkte gegen Olaf fal­len gelas­sen. In die­ser Zeit musste er sich drei Monate lang zwei­mal in der Woche in einem ört­li­chen Poli­zei­re­vier mel­den, da gegen ihn noch ein (außer Voll­zug gesetz­ter) Haft­be­fehl vorlag.

Die Kos­ten für sei­nen Anwalt sowie die bei der Durch­su­chung ent­stan­de­nen Sach­schä­den musste er selbst
beglei­chen. Der ent­stan­dene see­li­sche und gesell­schaft­li­che Scha­den lässt sich nur erah­nen. Nach Medi­en­be­rich­ten vom Novem­ber 2013 konnte bis­her kein ein­zi­ger Täter durch die Poli­zei ermit­telt wer­den. Auch die Ermitt­lun­gen in den ande­ren sechs Fäl­len führ­ten zu kei­nem Ergeb­nis und wur­den inzwi­schen eben­falls eingestellt.

Olaf ver­hielt sich im Nach­gang rich­tig, da er sich nicht vor Scham ver­kroch, son­dern in die Offen­sive ging und die Ver­eins­füh­rung kon­tak­tierte. Denn neben den zwi­schen­zeit­li­chen Ankla­ge­punk­ten wurde durch den 1. FC Kai­sers­lau­tern auch ein lang­jäh­ri­ges Sta­di­on­ver­bot gegen ihn aus­ge­spro­chen. Die SG Dynamo setzte das Sta­di­on­ver­bot aus und ver­sprach Unter­stüt­zung gegen das Vor­ge­hen der Ermitt­lungs­be­hör­den. Auch die Schwarz — Gelbe Hilfe sagte ihm ihre Unter­stüt­zung zu. Letzt­end­lich ver­zich­tete Olaf auf Scha­dens­er­satz­for­de­run­gen gegen­über der Poli­zei, da sein Anwalt nur sehr geringe Erfolgs­chan­cen sah. Ein Risiko, das Olaf neben all den ande­ren Kos­ten nicht auch noch ein­ge­hen wollte.

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