Im hohen Bogen zum Freispruch

29 Mai 2016 | Abgeschlossene Verfahren

Es ist März 2015, Mar­tin Malle* öff­net nichts­ah­nend sei­nen Brief­kas­ten, doch dies­mal befin­det sich darin, neben den übli­chen Ton­nen an Wer­be­pro­spek­ten, auch ein Brief der ört­li­chen Poli­zei­di­rek­tion. Darin wird er auf­ge­for­dert, schrift­lich zu einem Vor­fall beim Aus­wärts­spiel in Cott­bus Stel­lung zu neh­men. Doch was war gesche­hen? Immer­hin lag das Ereig­nis schon acht Monate zurück. Mar­tin Malle ver­sucht sich zu erin­nern, denn eigent­lich war der Besuch in Cott­bus ein nor­ma­les Spiel für Mar­tin und seine Kum­pels. Ein­zige Aus­nahme war die Per­so­na­li­en­fest­stel­lung der Gruppe nach dem Spiel. “Schö­nen guten Tag, die Per­so­nal­aus­weise mal bitte!” — auf die Frage, warum und mit wel­chem Grund man dazu auch noch Fotos von allen machen müsse, ant­wor­tete einer der ein­ge­setz­ten Beam­ten damals lapi­dar: “Wir kön­nen sie auch mit auf die Wache neh­men, wenn sie wei­ter Wider­stand leis­ten.” Aber wer will schon sei­nen sieg­rei­chen Nach­mit­tag auf einer Wache in Cott­bus ver­brin­gen und so lie­ßen die Freunde die Maß­nahme über sich erge­hen, ohne den Grund dafür zu erfahren.

Doch nun, nach mehr als einem hal­ben Jahr, lag das besagte Schrei­ben im Brief­kas­ten. Der Vor­wurf lau­tete Belei­di­gung nach §185 StGB — Mar­tin Malle soll einen Poli­zei­be­am­ten bespuckt haben. Eine Hand­lung der soge­nann­ten tät­li­chen Belei­di­gung. Da Mar­tin nun schon seit eini­ger Zeit Mit­glied der Schwarz-Gelben Hilfe war, infor­mierte er uns und schal­tete wenig spä­ter sei­nen Anwalt ein. Die­ser riet ihm, das Schrei­ben auf Anhö­rung zu igno­rie­ren, nur die Pflicht­an­ga­ben zurück­zu­sen­den und somit von sei­nem Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rungs­recht Gebrauch zu machen. Als das Akten­zei­chen bekannt wurde, stellte Mar­tins Rechts­bei­stand einen Antrag auf Akteneinsicht.

Nach­dem nun die Ankla­ge­schrift des ört­li­chen Jugend­ge­richts ein­ge­trof­fen war, begut­ach­tete Mar­tin Malle und sein Anwalt noch ein­mal gemein­sam die Akte. In die­ser gab es näm­lich einige Unge­reimt­hei­ten, da z.B. die Fotos Mar­tins und sei­ner Freunde bei der Kon­trolle nicht in der Akte zu fin­den waren. Hinzu kam eine offen­sicht­lich fal­sche Aus­sage des Beam­ten, der ange­ge­ben hatte, dass nur Mar­tins Per­so­na­lien unter Angabe des Vor­wurfs fest­ge­stellt wor­den sein soll. Auch ein ver­meint­li­ches Beweis­vi­deo der Poli­zei fehlte.

Im Novem­ber 2015 stand nun der erste Ver­hand­lungs­tag am Jugend­ge­richt an. Das ver­meint­li­che Opfer wie­der­holte seine bereits pro­to­kol­lierte Aus­sage aus der Akte und belas­tete Mar­tin Malle, ihn tät­lich belei­digt zu haben. Die zwei ein­ge­setz­ten Poli­zei­be­am­ten, wel­che als Zeu­gen gela­den waren, konn­ten keine kon­kre­ten Anga­ben mehr zum Her­gang der Maß­nahme nach dem Spiel bzw. des Spiel­tags in Cott­bus im All­ge­mei­nen machen. Auf Nach­frage des ver­tei­di­gen­den Anwalts, ob sie denn den Tat­her­gang beob­ach­tet hät­ten, ant­wor­te­ten beide Zeu­gen, dass sie sich an nichts außer­ge­wöhn­li­ches bzw. nichts genaue­res mehr erin­nern könn­ten. Ein ver­meint­li­ches Beweis­vi­deo der Staats­an­walt­schaft und die ange­spro­che­nen feh­len­den Fotos der Maß­nahme soll­ten nun nach­ge­reicht wer­den. Die vor­sit­zende Jugend­rich­te­rin sah sich aus die­sem Grund zunächst ver­an­lasst, die Gerichts­ver­hand­lung zu vertagen.

Mitt­ler­weile ist es April 2016 und der zweite Ver­hand­lungs­tag am Jugend­ge­richt ist ange­bro­chen. Die im Gerichts­saal Anwe­sen­den war­ten gespannt auf das Beweis­vi­deo der Staats­an­walt­schaft. Der Fern­se­her läuft. Auf dem Video ist es 13:55 Uhr und siehe da, tat­säch­lich ist darin der Ange­klagte Mar­tin Malle zu sehen, wie er im hohen Bogen über die Ple­xi­glas­scheibe des Gäs­te­blocks spuckt. Doch wir spu­len zum ers­ten Ver­hand­lungs­tag zurück. In die­sem sagte das angeb­lich von Spu­cke getrof­fene Opfer aus, dass er und sein ein­ge­setz­ter Zug erst nach Anpfiff des Spiels, also nach 14 Uhr in die­sem Bereich im Ein­satz gewe­sen wären.

Auch die Jugend­rich­te­rin scheint sich nun an die Aus­sage aus dem ers­ten Ver­hand­lungs­tag zu erin­nern und es macht sich nun auch bei ihr Skep­sis breit. Erneut wird das ver­meint­li­che Opfer in den Zeu­gen­stand geholt. Zwar sei im Video zu sehen, wie Mar­tin Malle um 13:55 Uhr über die Scheibe in Rich­tung des Puf­fer­be­reichs vor dem Gäs­te­block spuckt, aber dies wider­spre­che sich ja mit sei­ner eige­nen Aus­sage. Auf die Frage, wie Mar­tin die Beam­ten bespuckt haben soll, wenn diese doch erst spä­ter an Ort und Stelle waren, ant­wor­tete der Beamte, dass Mar­tin nach 14 Uhr wie­der­holt über die Scheibe gespuckt hätte, es dafür aber kei­nen Video­be­weis gäbe.

Die Rich­te­rin erkun­digte sich nun bei den Poli­zis­ten, warum sie dann nach dem Spiel aber von sechs Dyna­mo­fans die Per­so­na­lien fest­ge­stellt und Fotos von ihnen gemacht hät­ten, wenn die Beweise doch so ein­wand­frei gewe­sen wären. Auf diese Frage konnte der Beamte nicht direkt ant­wor­ten, da dies angeb­lich nicht in sei­nen Auf­ga­ben­be­reich gefal­len wäre. Am Ende über­zeugt die ver­meint­li­che Beweis­lage die Rich­te­rin nicht und sie spricht Mar­tin Malle von den Ankla­ge­punk­ten frei. Auch die Staats­an­walt­schaft legte gegen die­ses Urteil keine Rechts­mit­tel ein.

Die Anwalts­kos­ten Mar­tin Mal­les und die Kos­ten des Gerichts­ver­fah­rens trägt nun die Staatskasse.

Eure Schwarz-Gelbe Hilfe

*Name geän­dert

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