Die nahezu grenzenlose Datensammlungen sächsischer Polizeibehörden über Fußabllfans erreicht einen neuen negativen Höhepunkt.
Wie wir schon Mitte Juni letzten Jahres berichteten, legte Ende Mai 2015 das sächsische Innenministerium unter Führung des CDU-Innenministers Markus Ulbig, der Abgeordeten Juliane Nagel (DIE LINKE) in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage dar, dass es keine landesweiten Dateien über Fußballfans in Sachsen gäbe, sondern stattdessen die vorhandenen sächsischen Datensysteme (PASS, IVO und eFAS) zur Speicherung von gewaltbereiten Anhängern nutze. Einzige Ausnahme war das Polizeipräsidium in Dresden, welches eine unabhängige Datei mit der nebulösen Bezeichnung: “Gewalttätigkeiten, sonstige Straftaten sowie bedeutende Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen und Großveranstaltungen” über Anhänger der SG Dynamo Dresden führte. Insgesamt wurden in dem System von 2005 bis Januar 2014 769 Personen erfasst, die der SG Dynamo Dresden zugeordnet wurden. Eine detailierte Auskunft über die Nutzung der oben genannten sächsischen Datenbänke gab das Ministerium des Innern nicht.
Am 9. März 2016 erhielt der sächsische Parlamentarierer Valentin Lippmann (Bündnis 90/Die Grünen) eine Antwort auf seine Anfrage über die Existenz von Arbeitsdateien sogenannter Szenekundiger Beamter (SKB). Auch dort verneinte Innenminister Ulbig noch einmal die Existenz gesonderter Arbeitsdateien in Sachsen. Allerdings seien nach der Einführung des “ermittlungsunterstützenden Fallanalysesystem Sachsen” (eFAS) am 11. Dezember 2008 eigenständige Verfahren für den Phänomenbereich Sport und Gewalt eingerichtet wurden. Ziel sei die computergestützte Unterstützung bei der Bearbeitung und Auswertung kriminalpolizeilicher Informationen in eben diesem Bereich “Sport und Gewalt” gewesen. Die Speicherung von personenbezogenen Daten im eFAS-Verfahren “Gewalttäter Sport” beruhe auf Vorgängen aus dem sächsischen Vorgangsbearbeitungssystem (IVO) und einer weiteren Datenbank des Landes Sachsen, dem Polizeilichen Auskunftssystem Sachsen (PASS). Das eFAS-Verfahren soll derzeit von drei Polizeidirektionen in Sachsen genutzt werden. Die PD Dresden speichert aktuell 328 Personendatensätze, PD Leipzig 102 und die PD Zwickau 164.
In dieser Datenbank werden neben personenbezogenen Daten, auch, die nach bundeseinheitlichen Standarts geführten, Kategorisierungen von Fußballfans gesichert. Zur gesetzlichen Grundlage dient §43 des Sächsischen Polizeigesetz (SächsPolG). Über eine mögliche Löschung eines Datensatzes äußerte sich der Innenminister Markus Ulbig wie folgt: “Für personenbezogene Daten ist in eFAS eine Aussonderungsfrist von zwei Jahren vorzugeben. Eine automatisierte Routine prüft das Aussonderungsdatum. Mit Erreichen des Aussonderungsdatums entscheidet der Sachbearbeiter über Löschung […].”
Im April 2016 folgte durch den Abgeordneten Lippmann eine weitere parlamentarische Anfrage an das Sächsischen Ministerium des Innern (SMI), diesmal unter der Überschrift “Personengebundene Hinweise in polizeilichen Datenbänken (PHW)”. Personenbezogene Hinweise (PHW) stehen in eben diesen Datenbanken zum Zweck der “Eigensicherung der Polizei”; die tatsächliche Anwendung geht natürlich weit darüber hinaus, denn in den meisten Fällen ergehen subjektive Einschätzungen der Polizisten oder geäußerte Erkentnisse der jeweiligen Personen in diese Datenbanken als PHW mit ein. Gerade diese subjektiv getroffenen Einschätzungen einzelner Beamter können falsch sein und damit auf andere Polizeibeamte, die auf diese Daten zugreifen, schnell einen falschen Eindruck von einer Person geben. So verwundert es kaum, wenn auf Grund solcher personengebundenen Hinweise eingesetzte Beamte ihr Verhalten entsprechend anpassen.
Aus dem Report des Ministerium, die sich auf das “Polizeiliche Auskunftssystem Sachsens” (PASS) berufen, kommen nun erschreckende Erkenntnisse zu Tage. Nicht nur das sächsische Behörden weiterhin an PHW-Kategorien wie “Land- & Stadtstreicher” festhalten, die auf BKA-Ebene bereits 2014 abgeschafft wurden, sondern auch, dass es eine erhebliche Differenz zwischen der Anzahl an gespeicherten Menschen der jeweiligen Kategorien auf Länder- (PASS) und Bundesebene (INPOL) gibt. Als erste Reaktion auf die neuen Erkenntnisse bezeichnete der Abgeordnete Valentin Lippmann in einer Pressemitteilung vom 20. Mai 2016 die Datensammlung der sächsischen Polizei über Personen daraufhin folgerichtig als “uferlos”.
Auffällig und interessant für uns ist dabei vor allem die Kategorie “Gewalttäter Sport” der PASS-Datenbank, welche in Sachsen urplötzlich insgesamt 1156 Datensätze umfasst. Zum Vergleich: Bei INPOL, dem bundesländerübergreifenden Informationssystem deutscher Polizeien des BKA, werden gegenwärtig lediglich 313 Personen aus Sachsen als Gewalttäter Sport gespeichert. Im weiter oben erwähnten Verfahren des “ermittlungsunterstützenden Fallanalysesystem Sachsens” (eFAS) kommt die sächsiche Exekutive schon auf 594 angeblich gewalttätige Fußballfans. Dass nun in der PASS-Datenbank sogar von fast doppelt so viel erfassten Personen die Rede ist, lässt Raum für Spekulationen und offene Frage:
Warum gibt es neben der datenschutzrechtlich höchst fragwürdigen, vom Bundeskriminalamt geführten INPOL-Datei ‘Gewalttäter Sport’, eine zusätzliche sächsische Datei im eFAS-Verfahren?
Wozu werden weitere Personen mit dem PHW “Gewalttäter Sport” im PASS gespeichert? Wie sind dann vorallem die quantitativen Unterschiede zwischen PASS und eFAS zu erklären?
Auf welche dieser Daten bezieht sich die sächsische Polizei bei der Gefährdungs- und Lageeinschätzungen im Vorfeld von Fußballspielen?
Was passierte mit den Datensätzen der angeblich nicht mehr existenden Datei namens “Gewalttätigkeiten, sonstige Straftaten sowie bedeutende Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen und Großveranstaltungen” der Polizeidirektion Dresden?
Anders als die von der Landtagsfraktion Bündnis90/Die Grünen geforderte Löschung, setzen wir uns für eine Sperrung aller in Sachsen geführter Dateien über Fußballfans ein, um eine demokratische Aufarbeitung der Datensammelwut durch die sächsische Polizei gewährleisten zu können. Eine Sperrung hätte darüber hinaus den Vorteil, dass Betroffene weiterhin die Möglichkeit erhalten würden, die über sie gespeicherten Daten abfragen zu können.
Eure Schwarz-Gelbe Hilfe
Ihr vermutet, dass sächsische Behörden Euch in einer dieser Dateien gespeichert haben? Wir helfen Euch bei einer möglichen Auskunftsersuchung natürlich! Meldet Euch einfach bei uns.