Wider­stand gegen Voll­stre­ckungs­be­amte — Bücher lesen statt Stra­ßen fegen

10 Nov 2015 | Abgeschlossene Verfahren

Nach den Ereig­nis­sen im Novem­ber 2014 beim Aus­wärts­spiel der SG Dynamo Dres­den in Ros­tock ver­don­nerte der Deut­sche Fuß­ball­bund unse­ren Ver­ein zu einer dras­ti­schen Strafe und so musste die schwarz-gelbe Mann­schaft ihr Heim­spiel gegen Rot-Weiß Erfurt Anfang Februar 2015 vor lee­ren Rän­gen bestreiten.
Die Bemü­hun­gen der akti­ven Fan­szene, eine Lein­wand in der Nähe des Sta­di­ons auf­zu­bauen, um dort gemein­sam mit meh­re­ren tau­send Fans das Spiel zu schauen, konnte lei­der nicht umge­setzt wer­den. Ein Gewinn, um somit wenigs­tens einen Teil DFB-Strafe zu beglei­chen, wäre bei den extrem hohen Kos­ten nicht rea­lis­tisch gewe­sen. Eine Wie­der­ho­lung einer Geis­ter­ti­cke­tak­tion ala Ingol­stadt wurde eben­falls aus­ge­schlos­sen und so wurde von der akti­ven Fan­szene keine gezielte Aktion durchgeführt.

Vor der Begeg­nung selbst lie­fen etwa 200 sicht­lich unor­ga­ni­sierte Anhän­ger der Sport­ge­mein­schaft von der Ling­ne­r­al­lee über den Straß­bur­ger Platz und die Len­né­straße zum Sta­dion. Da auf die­sem Weg mehr­fach pyro­tech­ni­sche Gegen­stände gezün­det wur­den, stellte dar­auf­hin die Poli­zei von eini­gen Per­so­nen die Per­so­na­lien fest. Die Stim­mung der Fans war, trotz des Geis­ter­spiels und der Umrin­gung der Poli­zei, am K‑Block Auf­gang aus­ge­las­sen. Nach dem Abpfiff wuchs die Menge an schwarz-gelben Anhän­ger auf ca. 400 Per­so­nen an. Als die Poli­zei einen wei­te­ren ver­meint­li­chen Pyro­zün­der in Gewahr­sam neh­men wollte, heizte sich die Situa­tion am Sta­dion auf und es kam zu ver­ein­zel­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit der Poli­zei. Genau hier beginnt nun unser Fall.

Nach dem Spiel gesellte sich der Jugend­li­che Paul mit sei­nen Freun­den zu den Fans am Sta­dion. Kurz dar­auf kam es zu den oben genann­ten Ran­ge­leien. Nun war Paul mit­ten­drin im Gesche­hen, und als er sich ver­sah, ver­suchte ihn jemand zu Boden zu zie­hen. Er wehrte sich und rea­li­sierte erst zu spät das diese Per­so­nen Poli­zis­ten waren. Bei der Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fest­stel­lung erfuhr er, dass er vor dem Zugriff durch die Poli­zis­ten einer ihrer Kol­le­gen geschla­gen haben soll. Der Vor­wurf lau­tete also Kör­per­ver­let­zung und Wider­stand gegen Vollstreckungsbeamte.
Paul und sei­ner Mut­ter wand­ten sich dar­auf­hin nun an uns, die Schwarz-Gelbe-Hilfe.

Wir ver­mit­tel­ten einen Anwalt, Paul schrieb ein Gedächt­nis­pro­to­koll, um die Ein­zel­hei­ten nicht zu ver­ges­sen und seine Mut­ter ver­fiel trotz aller Sor­gen nicht in Panik. Kurz dar­auf mel­dete sich die Jugend­ge­richts­hilfe bei Paul. Die Ver­tre­ter der Jugend­ge­richts­hilfe sol­len unter ande­rem sozi­al­päd­ago­gi­sche Gesichts­punkte in Straf­ver­fah­ren vor den Jugend­ge­rich­ten zur Gel­tung brin­gen, indem sie über die Beschul­dig­ten berich­ten. Bei die­sem Ter­min stellte sich her­aus, dass der ver­letzte Poli­zist wohl eine Zer­rung aus dem Ein­satz mit sich trug.
Es folg­ten nun zwei müh­se­lige Ver­hand­lungs­tage am Jugend­ge­richt, die zum Schutz der Jugend­li­chen und Her­an­wach­sen­den unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit statt­fin­den. Dabei sagte neben dem ver­meint­li­chen Opfer, ein wei­te­rer Poli­zei­be­am­ter zu dem Vor­fall aus. Die Aus­sa­gen der Zeu­gen über­zeug­ten den Jugend­rich­ter nicht und auch ein Poli­zei­vi­deo zeigte, das Paul keine Kör­per­ver­let­zung beging.
Der Jugend­rich­ter ver­ur­teilte Paul dar­auf­hin nur für die Tat, die er auch began­nen hatte — Wider­stand gegen Voll­stre­ckungs­be­amte. Auf Anre­gung der Jugend­ge­richts­hilfe ver­hängte die­ser keine Sozi­al­stun­den oder Jugend­ar­rest, son­dern ver­fügte, dass Paul als Strafe ein Buch lesen soll.
Dies ist ein sehr inter­es­san­tes Pro­jekt der Jugend­ge­richts­hilfe namens “Dresd­ner Bücher­ka­non”. Dabei sol­len jugend­li­che Straf­tä­ter ihre Tat anhand eines Buches selbst reflek­tie­ren, dazu eine Rezen­sion schrei­ben, Fra­gen beant­wor­ten und diese dem Jugend­rich­ter zum Lesen vorlegen.

Paul hat nun 4 Wochen Zeit für die Erfül­lung der Auf­la­gen — die SGH betei­ligte sich an der Bewäl­ti­gung der Anwaltskosten.

Bil­dung statt Strafe — Eure Schwarz-Gelbe Hilfe

Titel­bild: Quelle

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