Da wo man singt, da lass dich ruhig nie­der, böse Men­schen haben keine Lieder

6 Apr 2019 | Abgeschlossene Verfahren

Es ist der 11. Sep­tem­ber 2016. Die Sport­ge­mein­schaft Dynamo Dres­den spielt nach dem skan­da­li­sier­ten DFB-Pokalspiel mal wie­der im Nie­der­sach­sen­sta­dion gegen die 96er aus Han­no­ver. Vor dem Spiel son­nen sich viele schwarz-gelbe Fans bei spät­som­mer­li­chem Wet­ter am Maschsee unweit des Sta­di­ons. Alles bleibt ruhig, nur die erneut kata­stro­phale Ein­lass­si­tua­tion, pro­vo­ziert durch die nie­der­säch­si­sche Poli­zei, erin­nern die Meis­ten an das DFB-Pokalspiel am Refor­ma­ti­ons­fei­er­tag 2012. Doch auch das wird durch den 2:0‑Auswärtssieg der SGD bald in Ver­ges­sen­heit gera­ten. 90-minütige Sie­ges­stim­mung der zu tau­sen­den ange­reis­ten Schlach­ten­bumm­ler der SGD, Lob­lie­der auf den eige­nen Ver­ein wech­seln mit Hohn und Spott für den ehe­ma­li­gen Bun­des­li­gis­ten. Auch Dyna­mo­fan Lud­wig Lie­der­ma­cher*, seit meh­re­ren Jah­ren einer der Ein­peit­scher mit Mega­fon aus dem K‑Block, ist mit dem Sieg der Sport­ge­mein­schaft auf dem Rasen und den Rän­gen des Nie­der­sach­sen­sta­di­ons zufrieden.

Doch die dama­lige Freude wird im dar­auf­fol­gen­den Som­mer 2017 jäh getrübt: Lud­wig Lie­der­ma­cher erhält einen Straf­be­fehl. Der Vor­wurf darin lau­tet, dass er wäh­rend der Ruhe­phase des bekann­ten Sta­di­on­klas­si­kers der SGD — “Die Legende aus Elb­flo­renz — der Ver­ein mit den bes­ten Fans” eine eher unbe­kannte Lied­zeile ange­stimmt haben soll. Anstatt des gän­gi­gen Tex­tes warf ihm die Staats­an­walt­schaft vor, “Für jedes Sta­di­on­ver­bot, schla­gen wir einen Bul­len tot.” gesun­gen zu haben. Im Juris­ten­deutsch bedeu­tete diese “Stö­rung des öffent­li­chen Frie­dens durch Andro­hung von Straf­ta­ten” nach §126 StGB für den lei­den­schaft­li­chen Anhän­ger unse­rer Mann­schaft einen Straf­be­fehl in einer Höhe von 900€.

Mit die­ser schlech­ten Nach­richt wen­dete sich Lud­wig Lie­der­ma­cher auf­grund sei­ner lang­jäh­ri­gen Mit­glied­schaft sofort an die Schwarz-Gelbe Hilfe. Nach Hin­zu­zie­hung eines Anwalts und Ein­le­gung eines Wider­spruch folgte die Haupt­ver­hand­lung im Novem­ber 2017 am Amts­ge­richt Han­no­ver. Einer der als Zeu­gen ver­nom­me­nen Poli­zis­ten gab an, dass er aus dut­zen­den Metern Ent­fer­nung diese ver­än­derte Lied­zeile, trotz stän­di­gen Ein­satz des Mega­fons, dem Ange­klag­ten von den Lip­pen abge­le­sen zu haben. Wo für jeden nor­ma­len Men­schen­ver­stand die Sache mit einem müden Lächeln und einem beru­hi­gen­den Schul­ter­klop­fer für die Beam­ten der am Spiel­tag ein­ge­setz­ten Beweissicherungs- und Fest­nah­me­ein­heit (kurz: BFE) erle­digt wäre, zeigte der zustän­dige Rich­ter, was er von den ver­meint­lich bür­ger­kriegs­ähn­li­chen Zustän­den in bun­des­wei­ten Sta­dien hielt und holte zu einem Rund­um­schlag gegen sämt­li­che Fuß­ball­fans aus. Das Urteil folgte prompt — neben einer Geld­strafe, wel­che trotz dürf­ti­ger Beweis­lage auf 3.600€ erhöht wurde, setzte er als https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/deutscher-verkehrsgerichtstag-vgt-fahrverbot-nebenstrafe-massive-kritik/ Neben­strafe zwei Monate Fahr­ver­bot an.

Lud­wig Lie­der­ma­cher fühlte sich von dem Urteil über­rum­pelt, lies sich aller­dings davon nicht ein­schüch­tern. Durch die bun­des­weite Ver­net­zung der Fan­hil­fen nahm die Schwarz-Gelbe Hilfe Kon­takt zu den dor­ti­gen Kol­le­gen auf.
Da es auch galt, wei­tere unnö­tige Rei­se­kos­ten zu mini­mie­ren, wurde das Man­dat an den orts­an­säs­si­gen Straf­ver­tei­di­ger der Fan­hilfe Han­no­ver übergeben.
Schnell wurde Beru­fung gegen das erste Urteil des Amts­ge­richt ein­ge­legt und Anfang März folgte die Ver­hand­lung am Land­ge­richt Han­no­ver. Neben den Poli­zis­ten der BFE, die wohl eini­gen Fuß­ball­fans ihre Wün­sche nicht nur sprich­wört­lich von den Lip­pen able­sen kön­nen, wur­den meh­rere ver­meint­li­che Video- und Audio­be­weise abge­spielt — in denen jedoch weder etwas zu hören, noch etwas zu sehen war. Eben­falls wurde durch diese soge­nann­ten Berufs­zeu­gen behaup­tet, dass das geläu­fige Wedeln mit den Arme wäh­rend der Ruhe­phase des Lie­des zum Ver­schlei­ern sol­cher Straf­ta­ten genutzt wird. Die Staats­an­walt­schaft lud sogar die soge­nann­ten sze­ne­kun­di­gen Beamten(SKB) aus Dres­den vor, um dem Land­ge­richt wohl dar­zu­le­gen, was Herr Lie­der­ma­cher, trotz feh­len­der Ein­tra­gun­gen im Bun­des­zen­tral­re­gis­ter, für ein schlim­mer Fin­ger sei. Aller­dings konn­ten diese wage­mu­ti­gen Behaup­tun­gen nicht bestä­tigt wer­den — im Gegen­teil — zwi­schen den Aus­sa­gen der BFE-Polizisten und den SKBs kam es nun zu deut­li­chen Wider­sprü­chen, die in der Ver­hand­lung aller­dings nicht auf­ge­löst wurden.

Letzt­lich sprach der Rich­ter allen Aus­sa­gen durch die Poli­zei­be­am­ten zum Trotz, nach meh­re­ren Stun­den Ver­hand­lung am Land­ge­richt Han­no­ver Lud­wig Lie­der­ma­cher von den Anschul­di­gun­gen frei und revi­dierte somit das Urteil aus ers­ter Instanz. Bemer­kens­wert ist übri­gens auch, dass der Rich­ter der ers­ten Instanz das Fahr­ver­bot hätte gar nicht aus­spre­chen dür­fen. Diese Mög­lich­keit war zum Zeit­punkt der Tat recht­lich noch gar nicht gege­ben. Damit wurde ver­stieß der Rich­ter am Amts­ge­richt sogar gegen das Gesetz­lich­keits­prin­zip, wel­ches u.a. in Art. 103 II des Grund­ge­set­zes oder § 1 des Straf­ge­setz­bu­ches zu fin­den ist. Denn eine Tat kann nur dann bestraft wer­den, wenn die Straf­bar­keit gesetz­lich bestimmt war, bevor diese Tat began­gen wurde. Im Fall des Fahr­ver­bots als Neben­strafe war dies nicht der Fall. Sämt­li­che Kos­ten und Aus­la­gen des Betrof­fe­nen über­nimmt nun die Staatskasse.

Der Ver­lauf die­ses Falls zeigt erneut anschau­lich, wie wich­tig eine Mit­glied­schaft in der Schwarz-Gelben Hilfe ist. Durch die ihm ange­bo­tene Unter­stüt­zung war das Mit­glied nicht in der finan­zi­el­len Zwick­mühle, um abzu­wä­gen, ob er den Straf­be­fehl oder gar das Urteil vom Amts­ge­richt Han­no­ver annehme sollte. Durch die soli­da­ri­sche Gemein­schaft im Hin­ter­grund ist das Über­prü­fen solch vor­schnel­ler und feh­ler­haf­ter Urteile kein unab­wäg­ba­res Risiko mehr. Erst ein Anwalt, der eure Inter­es­sen als Beschul­dig­ter ver­tritt, sollte ent­schei­den, ob eine Strafe, zur Beweis­lage und den Vor­wür­fen, ange­mes­sen ist. Wer­det daher Mit­glied in der Schwarz-Gelben Hilfe und unter­stützt mit Eurem Mit­glieds­bei­trag nicht nur Euch selbst, son­dern auch ande­ren Dyna­mo­fans in Not.

Allein machen sie Dich ein — Schwarz-Gelbe Hilfe

*Name durch die SGH geändert 

Mehr Artikel

Straf­be­fehle gegen Sozi­al­ar­bei­ter in Fan­pro­jek­ten sind unhalt­bar – Ermitt­lun­gen gegen Fuß­ball­fans neh­men gro­teske Züge
Straf­be­fehle gegen Sozi­al­ar­bei­ter in Fan­pro­jek­ten sind unhalt­bar – Ermitt­lun­gen gegen Fuß­ball­fans neh­men gro­teske Züge

Straf­be­fehle gegen Sozi­al­ar­bei­ter in Fan­pro­jek­ten sind unhalt­bar – Ermitt­lun­gen gegen Fuß­ball­fans neh­men gro­teske Züge

Das Bündnis für Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit hat öffentlich gemacht, dass Sozialarbeiter im Fanprojekt Karlsruhe mit Strafbefehlen überhäuft wurden, weil sie sich an ihre Schweigepflicht gehalten und nicht gegen Fußballfans ausgesagt haben. Die...