Fah­nen­schwen­ken­der Fan erhält Einstellung

12 Dez 2020 | Abgeschlossene Verfahren, Allgemein

Das Aus­wärts­spiel der Sport­ge­mein­schaft Dynamo Dres­den beim Ham­bur­ger Sport­ver­ein am 11. Februar 2019 hatte für einen Fan der SGD ein lang­wie­ri­ges und vor allem völ­lig über­zo­ge­nes Ver­fah­ren zur Folge. Auf­grund einer schwen­ken­den Fahne fühlte sich ein ein­ge­setz­ter Beam­ter der­ma­ßen bedroht, dass er gegen den Fan ein Ermitt­lungs­ver­fah­ren wegen ver­such­ter gefähr­li­cher Kör­per­ver­let­zung ein­lei­tete. Diese Ver­fah­ren konnte nun am Ham­bur­ger Land­ge­richt gegen eine Geld­auf­lage nach § 153a StPO ein­ge­stellt werden.

Nach fast 15-jähriger Pause betrat an die­sem Abend der dyna­mi­sche Krei­sel wie­der die Bühne des Ham­bur­ger Volks­park­sta­di­ons. Mit dabei gut 8.000 Schlach­ten­bumm­ler der SGD, wobei sich einige auf­grund der Stim­mung und des Spek­ta­kels auf den Rän­gen des Gäs­te­block im Euro­pa­po­kal wähn­ten. Doch auch die Poli­zei fan­ta­sierte im Vor­feld der Par­tie eine Hoo­li­gan­in­va­sion aus dem Dyna­mo­land her­bei und so wur­den neben knapp 1.800 Poli­zei­kräfte auch aller­lei Gerät­schaf­ten wie Was­ser­wer­fer, Hub­schrau­ber und Räum­pan­zer zum Ein­satz gebracht. Doch die befürch­te­ten bür­ger­kriegs­ähn­li­chen Sze­nen blie­ben erwar­tungs­ge­mäß aus. 

Zum Ein­lau­fen der Mann­schaf­ten prä­sen­tierte man im Bereich des Gäs­te­block hun­derte von schwarz-gelben Stoff­fah­nen, wenige Minu­ten spä­ter durfte der Ham­bur­ger Anhang die wohl größte Pyro­show in ihrem Sta­dion bewun­dern. Genau in die­sem Moment kommt es wohl für einen Dyna­mo­fan, der an einer Brüs­tung ober­halb eines Mund­loch stand und mehr­fach mit der Stoff­wick­lung sei­ner Fahne zu kämp­fen hatte, zu einer unbe­merk­ten, aber fol­gen­schwe­ren Begeg­nung. Ein Ein­satz­hun­dert­schaft der Poli­zei ver­lässt den Ober­rang des Sta­dion genau durch die­sen Bereich. Nach­dem Spiel folgte für den Betrof­fe­nen eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fest­stel­lung — der Vor­wurf lau­tete: ver­suchte gefähr­li­che Körperverletzung.

Im spä­te­ren Straf­be­fehl heißt es dazu “… in dem Sie gegen 20:40 Uhr im Bereich der West­tri­büne des Volks­park­sta­di­ons […] von einem Zuschau­er­rang aus, mit Ver­let­zungs­ab­sicht Ihre Fahne in Rich­tung des im Dienst befind­li­chen Poli­zei­be­am­ten schwenk­ten und die­ser nur zufäl­lig nicht von der Fah­nen­stange getrof­fen wurde. Diese ver­fehlte nur um 30cm den Kopf des Zeu­gen.” — Er soll 90 Tages­sätze á 20,00€ bezah­len — 1.800€.

Er wen­det sich an die Schwarz-Gelbe Hilfe und bekommt einen Rechts­bei­stand ver­mit­telt. Es wird Ein­spruch ein­ge­legt und Akten­ein­sicht bean­tragt. Der fast geschä­digte Poli­zei­be­amte ist der Ein­zige, der die­ses Ver­hal­ten mit­be­kom­men haben soll. Am Amts­ge­richt Hamburg-Altona folgte noch im Dezem­ber 2019 die Verhandlung.
Der Betrof­fene erklärt, dass es sich hier wohl nur um ein Miss­ver­ständ­nis han­deln müsse. Weder hätte er die Absicht gehabt, noch das Ziel jeman­den mit sei­ner Fahne zu ver­let­zen. Er erklärte mit Hilfe sei­ner Anwäl­tin, dass er höchs­tens die Fahne zum Pau­sie­ren in den Bereich des Mund­lochs gehal­ten hätte oder um den von Stoff umwi­ckel­ten Fah­nen­stock zu ent­wir­ren. Maße der Fahne und des Mund­lochs wer­den vor­ge­tra­gen und die Frage in den Raum gewor­fen, ob die Rela­tion Fahne — Mund­loch — Poli­zis­ten­kopf über­haupt stim­men könne. Doch die Amts­rich­te­rin schenkt nur der Aus­sage des Poli­zis­ten Beach­tung. Einen Zeu­gen, der die Aus­sage des Dyna­mo­fans bestä­ti­gen kann, wird vor­ge­wor­fen sich vor­her abge­spro­chen zu haben. Das Wort “Mund­loch” hätte sie vor­her noch nie gehört. Auf­grund der Unein­sich­tig­keit des Ange­klag­ten erhöht sie die Strafe um 30 Tages­sätze auf 2400,00€.

Es wird Beru­fung gegen die­ses Urteil ein­ge­legt und Anfang Juni folgt die Beru­fungs­ver­hand­lung am Land­ge­richt Ham­burg. Erneut gibt der ange­klagte Dyna­mo­fans seine Ein­las­sung über ein mög­li­ches Miss­ver­ständ­nis ab, erneut wird über Maße des Ein-/Ausgangsbereich des Volks­park­sta­dion ver­han­delt, auch fin­det eine sol­che Cho­reo­fahne den Weg in den Gerichts­saal. Han­dy­fo­tos und Bil­der aus dem Inter­net wer­den stu­diert. Der Poli­zist bestä­tigt seine Aus­sage vom Amts­ge­richt erneut, doch bei der vor­sit­zen­den Rich­te­rin und den bei­den Schöf­fen kom­men Zwei­fel auf, dass es sich hier nicht doch um ein Miss­ver­ständ­nis und somit um eine Tat ohne Vor­satz han­deln würde. Nach zähen Ver­hand­lun­gen mit der Staats­an­walt­schaft, die noch­mal die These des per­ma­nen­ten Gewalt­tä­ters Fuß­ball­fan in den Raum wirft und dass man in Ham­burg Angriffe gegen Poli­zei­be­amte nicht dul­den dürfe, kommt man zu dem Schluss, das Ver­fah­ren gegen den betrof­fe­nen Dyna­mo­fan mit einer gerin­gen Geld­auf­lage nach § 153a StPO einzustellen.

Dem Dyna­mo­fan ent­fie­len somit die Gerichts­kos­ten — bei der Beglei­chung der Anwalts­kos­ten unter­stütze der Schwarz-Gelbe Hilfe e.V. den Betroffenen.

Ins­ge­samt kann man mit dem Aus­gang die­ses Ver­fah­rens zufrie­den sein, aber es zeigt erneut, dass die Aus­sage eine Poli­zei­be­am­ten einen deut­lich höhe­ren Stel­len­wert vor Gericht haben und diese Behaup­tun­gen schwer zu wider­le­gen sind.

Schwarz-Gelb wehen unsere Fah­nen, wie sie noch kei­ner gese­hen hat.

Eure Schwarz-Gelbe Hilfe

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