Erinnert ihr euch noch an die letzte Saison und das Spiel in Kaiserslautern? Genau, Dynamo hatte an einem Freitagabend die erste Begegnung beider Vereine seit 18 Jahren verloren und das sehr eindeutig. Dieser Punkt wurde danach jedoch zur Nebensache, denn das Hauptaugenmerk in der Berichterstattung in den Wochen danach richtete sich vielmehr auf die Begleiterscheinungen nach dem Spiel.
Als die mit FCK-Fans voll besetzten Shuttle-Busse der Verkehrsbetriebe Kaiserslautern durch die Masse der abreisenden Fans geschickt wurden, kam es zu Übergriffen. Dabei wurden zwei Personen verletzt — eine Frau erlitt einen Schock, ein Businsasse zog sich durch umherfliegende Glassplitter Schnittwunden zu. Weitere Verletzte waren nicht zu verzeichnen. Der zuständige Einsatzleiter Franz-Josef Brandt ließ sich später mit folgendem Satz zitieren: „Unser Einsatzkonzept hat heute weitestgehend gegriffen.“ Das mediale Echo auf die Vorfälle war jedoch gewaltig. Gleichzeitig bedeuteten die damit für die Öffentlichkeit geschaffenen Schreckensszenarien einen extrem hohen Fahndungs- und Erfolgsdruck für die zuständigen Ermittlungsbehörden.
Wozu dieser Erfolgsdruck führte und welche unvorstellbaren Ausmaße an Skrupellosigkeit dabei angewendet wurden, soll am folgenden Beispiel eines Dynamo-Fans dargestellt werden. Sein voller Name ist uns bekannt, aber aufgrund des Schutzes seiner Privatsphäre soll er im nachfolgenden Text nur Olaf genannt werden.
Olaf ist ein Mann im gesetzten Alter, verheiratet, Vater eines Sohnes und steht fest im Berufsleben. Soweit es sein Terminplan erlaubt, besucht er regelmäßig die Heimspiele unserer Mannschaft. Ansonsten versucht er in jeder Saison zu ein paar Auswärtsspielen zu fahren. Kaiserslautern war eines dieser Spiele. Gemeinsam mit ein paar Freunden organisierte Olaf einen Spielbesuch samt Übernachtung in der Stadt. Nach dem Abpfiff verließen er und seine Begleiter sehr zügig den Betzenberg.
Aus Erfahrung weiß er, dass es auf der Abreise immer wieder zu Staus und anderen Ärgernissen kommen kann. Aus diesem Grund zogen sie es vor, einem Taxi zu ihrer Unterkunft zu kommen. Am darauf folgenden Tag ging es „ab nach heeme“. Was ihm dort allerdings ein paar Monate später im April widerfahren sollte, hätte er nicht erwartet. Da Olaf in der Gastronomie tätig ist, war er an jenem Tag bereits auf den Beinen, als er sehr zeitig und überraschend Besuch von der Polizei bekommt. Aufgrund eines vorliegenden Haftbefehles wurde er direkt in das Dresdner Polizeipräsidium auf der Schießgasse gebracht, wo er einem zuständigen Haftrichter vorgeführt wurde. Erst dort erfuhr er, in welchem Zusammenhang überhaupt gegen ihn ermittelt wurde und was der Grund für seine Festnahme war.
Der Tatvorwurf umfasste schweren Landfriedensbruch sowie Körperverletzung und einige weitere Punkte. Vor Ort wurde er von den Beamten unter Druck gesetzt und sollte aussagen, was er in Kaiserslautern angestellt habe. Olaf war dermaßen perplex, dass er nicht einmal auf die Idee kam, einen Anwalt zu kontaktieren. Nach etwa fünfzehn Minuten dämmerte den Beamten, dass sie sich mächtig vergriffen hatten. Für Olaf war an diesem Punkt aber noch nicht Schluss, sein Martyrium ging weiter. Während er auf dem Polizeipräsidium verhört wurde, durchsuchten Beamte sein Haus in ländlicher Umgebung. Es wurde sprichwörtlich auf den Kopf gestellt.
Zur gleichen Zeit war die Polizei auch bei sechs weiteren „Tatverdächtigen“. Teilweise mit Unterstützung des SEK. Gesucht wurde nach Waffen und anderen Gegenständen. Selbst der im Garten befindliche Kaninchenstall wurde einer Überprüfung unterzogen. Gefunden wurde letztlich nichts! Nachdem Olaf aufgrund dieser Tatsachen wieder freigelassen werden musste, nahm er sich anwaltliche Unterstützung.
Aus den beantragten Ermittlungsakten, in welche nach mehrmaliger Ablehnung erst ein knappes halbes Jahr später Einsicht genommen werden konnte, stellte Olaf zusammen mit seinem Anwalt fest, dass sein Handy bereits seit Monaten überwacht worden war — zudem war sein Haus rund 24 Stunden vor der Durchsuchung observiert worden. Hinzu kommt, dass etwa ein Drittel der an dem Tag tätigen Beamten, insgesamt etwa 100 Personen, extra aus Rheinland-Pfalz gekommen waren, um die Durchsuchungen persönlich vorzunehmen (unter anderem das oben angesprochene SEK).
Erst nach etwas mehr als einem halben Jahr wurden alle Anklagepunkte gegen Olaf fallen gelassen. In dieser Zeit musste er sich drei Monate lang zweimal in der Woche in einem örtlichen Polizeirevier melden, da gegen ihn noch ein (außer Vollzug gesetzter) Haftbefehl vorlag.
Die Kosten für seinen Anwalt sowie die bei der Durchsuchung entstandenen Sachschäden musste er selbst
begleichen. Der entstandene seelische und gesellschaftliche Schaden lässt sich nur erahnen. Nach Medienberichten vom November 2013 konnte bisher kein einziger Täter durch die Polizei ermittelt werden. Auch die Ermittlungen in den anderen sechs Fällen führten zu keinem Ergebnis und wurden inzwischen ebenfalls eingestellt.
Olaf verhielt sich im Nachgang richtig, da er sich nicht vor Scham verkroch, sondern in die Offensive ging und die Vereinsführung kontaktierte. Denn neben den zwischenzeitlichen Anklagepunkten wurde durch den 1. FC Kaiserslautern auch ein langjähriges Stadionverbot gegen ihn ausgesprochen. Die SG Dynamo setzte das Stadionverbot aus und versprach Unterstützung gegen das Vorgehen der Ermittlungsbehörden. Auch die Schwarz — Gelbe Hilfe sagte ihm ihre Unterstützung zu. Letztendlich verzichtete Olaf auf Schadensersatzforderungen gegenüber der Polizei, da sein Anwalt nur sehr geringe Erfolgschancen sah. Ein Risiko, das Olaf neben all den anderen Kosten nicht auch noch eingehen wollte.