Es ist März 2015, Martin Malle* öffnet nichtsahnend seinen Briefkasten, doch diesmal befindet sich darin, neben den üblichen Tonnen an Werbeprospekten, auch ein Brief der örtlichen Polizeidirektion. Darin wird er aufgefordert, schriftlich zu einem Vorfall beim Auswärtsspiel in Cottbus Stellung zu nehmen. Doch was war geschehen? Immerhin lag das Ereignis schon acht Monate zurück. Martin Malle versucht sich zu erinnern, denn eigentlich war der Besuch in Cottbus ein normales Spiel für Martin und seine Kumpels. Einzige Ausnahme war die Personalienfeststellung der Gruppe nach dem Spiel. “Schönen guten Tag, die Personalausweise mal bitte!” — auf die Frage, warum und mit welchem Grund man dazu auch noch Fotos von allen machen müsse, antwortete einer der eingesetzten Beamten damals lapidar: “Wir können sie auch mit auf die Wache nehmen, wenn sie weiter Widerstand leisten.” Aber wer will schon seinen siegreichen Nachmittag auf einer Wache in Cottbus verbringen und so ließen die Freunde die Maßnahme über sich ergehen, ohne den Grund dafür zu erfahren.
Doch nun, nach mehr als einem halben Jahr, lag das besagte Schreiben im Briefkasten. Der Vorwurf lautete Beleidigung nach §185 StGB — Martin Malle soll einen Polizeibeamten bespuckt haben. Eine Handlung der sogenannten tätlichen Beleidigung. Da Martin nun schon seit einiger Zeit Mitglied der Schwarz-Gelben Hilfe war, informierte er uns und schaltete wenig später seinen Anwalt ein. Dieser riet ihm, das Schreiben auf Anhörung zu ignorieren, nur die Pflichtangaben zurückzusenden und somit von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Als das Aktenzeichen bekannt wurde, stellte Martins Rechtsbeistand einen Antrag auf Akteneinsicht.
Nachdem nun die Anklageschrift des örtlichen Jugendgerichts eingetroffen war, begutachtete Martin Malle und sein Anwalt noch einmal gemeinsam die Akte. In dieser gab es nämlich einige Ungereimtheiten, da z.B. die Fotos Martins und seiner Freunde bei der Kontrolle nicht in der Akte zu finden waren. Hinzu kam eine offensichtlich falsche Aussage des Beamten, der angegeben hatte, dass nur Martins Personalien unter Angabe des Vorwurfs festgestellt worden sein soll. Auch ein vermeintliches Beweisvideo der Polizei fehlte.
Im November 2015 stand nun der erste Verhandlungstag am Jugendgericht an. Das vermeintliche Opfer wiederholte seine bereits protokollierte Aussage aus der Akte und belastete Martin Malle, ihn tätlich beleidigt zu haben. Die zwei eingesetzten Polizeibeamten, welche als Zeugen geladen waren, konnten keine konkreten Angaben mehr zum Hergang der Maßnahme nach dem Spiel bzw. des Spieltags in Cottbus im Allgemeinen machen. Auf Nachfrage des verteidigenden Anwalts, ob sie denn den Tathergang beobachtet hätten, antworteten beide Zeugen, dass sie sich an nichts außergewöhnliches bzw. nichts genaueres mehr erinnern könnten. Ein vermeintliches Beweisvideo der Staatsanwaltschaft und die angesprochenen fehlenden Fotos der Maßnahme sollten nun nachgereicht werden. Die vorsitzende Jugendrichterin sah sich aus diesem Grund zunächst veranlasst, die Gerichtsverhandlung zu vertagen.
Mittlerweile ist es April 2016 und der zweite Verhandlungstag am Jugendgericht ist angebrochen. Die im Gerichtssaal Anwesenden warten gespannt auf das Beweisvideo der Staatsanwaltschaft. Der Fernseher läuft. Auf dem Video ist es 13:55 Uhr und siehe da, tatsächlich ist darin der Angeklagte Martin Malle zu sehen, wie er im hohen Bogen über die Plexiglasscheibe des Gästeblocks spuckt. Doch wir spulen zum ersten Verhandlungstag zurück. In diesem sagte das angeblich von Spucke getroffene Opfer aus, dass er und sein eingesetzter Zug erst nach Anpfiff des Spiels, also nach 14 Uhr in diesem Bereich im Einsatz gewesen wären.
Auch die Jugendrichterin scheint sich nun an die Aussage aus dem ersten Verhandlungstag zu erinnern und es macht sich nun auch bei ihr Skepsis breit. Erneut wird das vermeintliche Opfer in den Zeugenstand geholt. Zwar sei im Video zu sehen, wie Martin Malle um 13:55 Uhr über die Scheibe in Richtung des Pufferbereichs vor dem Gästeblock spuckt, aber dies widerspreche sich ja mit seiner eigenen Aussage. Auf die Frage, wie Martin die Beamten bespuckt haben soll, wenn diese doch erst später an Ort und Stelle waren, antwortete der Beamte, dass Martin nach 14 Uhr wiederholt über die Scheibe gespuckt hätte, es dafür aber keinen Videobeweis gäbe.
Die Richterin erkundigte sich nun bei den Polizisten, warum sie dann nach dem Spiel aber von sechs Dynamofans die Personalien festgestellt und Fotos von ihnen gemacht hätten, wenn die Beweise doch so einwandfrei gewesen wären. Auf diese Frage konnte der Beamte nicht direkt antworten, da dies angeblich nicht in seinen Aufgabenbereich gefallen wäre. Am Ende überzeugt die vermeintliche Beweislage die Richterin nicht und sie spricht Martin Malle von den Anklagepunkten frei. Auch die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil keine Rechtsmittel ein.
Die Anwaltskosten Martin Malles und die Kosten des Gerichtsverfahrens trägt nun die Staatskasse.
Eure Schwarz-Gelbe Hilfe
*Name geändert