Inter­view mit Ronald Beć — Lei­ter “Fan­pro­jekt Dres­den e.V.” Teil 2

13 Jun 2021 | Allgemein

Ihr habt als Sozi­al­ar­bei­ter eine beson­dere Ver­ant­wor­tung gegen­über eurer Kli­en­tel bzw. den auf­ge­such­ten, zu meist jugend­li­chen Fuß­ball­fans. Auf­grund eurer Nähe zu die­sen Leu­ten, den Gesprä­chen mit ihnen, fun­giert somit auch als Geheim­nis­trä­ger, ähn­lich einem Pries­ter, der dem Beich­ten­den seine Sün­den und am Ende die gött­li­che Abso­lu­tion erteilt. Wel­che Gefah­ren ent­ste­hen dadurch für euch als Sozialarbeiter?

Grund­sätz­lich ent­ste­hen durch die uns bekannt gewor­de­nen Geheim­nisse gar keine Gefah­ren. Das ist ja ein Kern unse­rer Arbeit und unse­rer Hal­tung, für junge Men­schen ver­trau­li­che Ansprech­part­ner zu sein. Wenn uns keine Geheim­nisse oder ver­trau­ens­wür­dige Infor­ma­tio­nen, per­sön­li­che Sor­gen und Nöte zuge­tra­gen wer­den könn­ten, dann stellt sich auch die Frage nach der Sinn­haf­tig­keit und Wir­kung der Arbeit. Wir haben einen ganz ande­ren Ansatz als die Poli­zei. Deren Vor­ge­hen rich­tet sich ja auf „Pro­bleme“, die Men­schen „machen“, die Straf­ta­ten bege­hen. Das ist auch deren Job.
In der Sozia­len Arbeit ist unser Blick aber wesent­lich wei­ter. Wir beschäf­ti­gen uns nicht aus­schließ­lich mit der Straf­fäl­lig­keit einer Per­son, son­dern neh­men den gan­zen Men­schen in den Blick, schauen also nicht nur auf den „Fall“, son­dern auch auf Lebens­zu­sam­men­hänge, Bio­gra­fie oder auch Pro­blem­la­gen, in denen diese Per­so­nen ste­cken. Dies ist wesent­lich kom­ple­xer und erfor­dert auch eine lang­jäh­rige, von gegen­sei­ti­gem Ver­trauen geprägte Bezie­hung zuein­an­der. Das ist ein Kern unse­rer Arbeit und die­ser ist – auch durch die gesetz­li­che Schwei­ge­pflicht oder den Sozi­al­da­ten­schutz – klar recht­lich geschützt. Lei­der wird diese Ver­schwie­gen­heit­ver­pflich­tung im Falle von Straf­pro­zes­sen auf­ge­ho­ben. Aus die­sem Grund braucht es das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht für die Soziale Arbeit. 

Die wis­sen­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit der The­ma­tik in mei­ner Mas­ter­ar­beit offen­barte, dass sich Fach­kräfte selbst in ihrer eige­nen Wir­kung beschnei­den aus der Angst her­aus, sen­si­ble Infor­ma­tio­nen von Men­schen zu erhal­ten. Das ist natür­lich abso­lut untrag­bar. So wer­den Per­so­nen von Sozi­al­ar­bei­te­rin­nen und Sozi­al­ar­bei­tern bspw. nicht nach ihrem rich­ti­gen Namen gefragt oder Hil­fe­su­chen­den wird nahe­ge­legt, in Bera­tungs­ge­sprä­chen nicht von sich selbst, son­dern von ver­meint­li­chen Freun­den zu spre­chen. Mir sind aus der Pra­xis auch Fälle bekannt, in denen Kol­le­gen sich umge­dreht haben und gegan­gen sind, wenn sich Jugend­li­che Joints gebaut haben, weil sie Angst hat­ten, dass die Poli­zei dies beob­ach­tet und die Fach­kräfte dann bei even­tu­el­len Straf­ver­fah­ren gegen ihre eige­nen Kli­en­ten aus­sa­gen müss­ten. Jah­re­lang auf­ge­bau­tes Ver­trauen würde damit ver­ständ­li­cher­weise zer­stört und es spricht sich inner­halb der Ziel­gruppe herum. Ange­bote Sozia­ler Arbeit sind – außer viel­leicht in Jus­tiz­voll­zugs­an­stal­ten o.ä. – in der Regel abso­lut frei­wil­lig. Die­ser Ver­trau­ens­bruch auf­grund von Straf­ver­fah­ren in einem ein­zel­nen Fall gefähr­det jah­re­lange Arbeit. Dabei ist es die Auf­gabe Sozia­ler Arbeit, mit jun­gen Men­schen auch Dinge wie bei­spiels­weise selbst­ge­fähr­dende Ver­hal­tens­wei­sen zumin­dest zu the­ma­ti­sie­ren. Wenn sich ein Jugend­li­cher wie selbst­ver­ständ­lich ver­bo­tene Dro­gen rein­zieht, dann muss es mög­lich sein, dass ich es mit der Per­son kri­tisch bespre­chen kann. Dies wird unter die­sem Druck immer schwie­ri­ger. Wäh­rend Befug­nisse für Sicher­heits­be­hör­den kon­ti­nu­ier­lich wei­ter aus­ge­baut wer­den, ist die Beglei­tung und Unter­stüt­zung von Men­schen zuneh­mend gefähr­det. Dabei ist auch dies eine wesent­li­che Auf­gabe des Sozi­al­staa­tes. Wir wer­den uns auch zukünf­tig wei­ter sehr dafür ein­set­zen, das Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht für unsere Berufs­gruppe Rea­li­tät wer­den zu lassen.

Wel­che Erfah­run­gen muss­tet ihr als Fan­pro­jekt­ler mit die­ser Pro­ble­ma­tik im Umfeld Fuß­ball­fan­szene der SG Dynamo Dres­den schon machen? Habt Ihr Euch da eine Art Ver­hal­tens­ka­ta­log gege­ben, wenn es mal „brenz­lig“ wird oder Euch Jugend­li­che Sachen erzäh­len, von denen Ihr am bes­ten gar nichts wis­sen wollt?

Einen Ver­hal­tens­ka­ta­log für brenz­lige Situa­tio­nen gibt es in dem Sinne nicht, aber wir sind natür­lich im Team ganz akri­bisch dabei, ins­be­son­dere Spiel­tage vor- und nach­zu­be­rei­ten. Dafür gibt es klare Abläufe und die hel­fen uns auch dabei, kri­ti­sche Vor­komm­nisse schnell aus­zu­wer­ten und bei ähn­li­chen Situa­tio­nen zukünf­tig vor­be­rei­tet zu sein. Ein kras­ses Bei­spiel dafür ist die Situa­tion rund um das Auf­stiegs­spiel 2016 in Mag­de­burg. Nach­dem der mit rund 1.000 Per­so­nen belegte Ent­las­tungs­zug auf der Rück­fahrt stark von Fans beschä­digt wurde, erhiel­ten wir Vor­la­dun­gen für Chris­tian und Janine, die damals noch bei uns arbei­tete. Wir wis­sen bis heute nicht, ob über­haupt noch ande­ren Per­so­nen vor­ge­la­den wor­den sind. Jeden­falls war der erste Zugriff auf die zwei Sozi­al­ar­bei­ter im Zug wirk­lich irri­tie­rend. Wir sind dann sogar bis vor das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt gezo­gen, das unse­ren Fall aller­dings lei­der nicht zu Ent­schei­dung ange­nom­men hat. Ziel war es dabei, die Ord­nungs­gel­der anzu­fech­ten, die gegen uns ver­hängt wur­den wegen der Ver­wei­ge­rung der Aus­sage. Lei­der am Ende ohne Erfolg. In der Kon­se­quenz beglei­ten wir als Fan­pro­jekt seit­her keine Fans mehr, die mit der Bahn anrei­sen, obwohl das natür­lich auch durch­aus wün­schens­wert für die Bun­des­po­li­zei wäre, weil sie dann ver­läss­li­che Ansprech­part­ner hätte, die Infor­ma­tio­nen an die Fans wei­ter­tra­gen kön­nen. Ande­rer­seits beschnei­den wir uns dadurch auch in unse­rer pro­fes­sio­nel­len Arbeit, weil wir somit auf eine güns­tige Gele­gen­heit ver­zich­ten, inten­sive Bezie­hungs­ar­beit zu leis­ten. Das ist sicher­lich das pro­mi­nen­teste Bei­spiel, das zeigt, wel­che Gefah­ren aus den Zeu­gen­vor­la­dun­gen von Fanprojekt-Mitarbeitern für die Soziale Arbeit drohen.
Ins­ge­samt ist das aber letzt­lich auch immer eine recht abs­trakte Gefahr. Es kann natür­lich immer etwas pas­sie­ren, egal ob im Block, beim Fan­marsch oder auf der Anreise – und jede Per­son als Zeuge vor­ge­la­den wer­den. Wir sind aller­dings durch gesetz­li­che Rege­lun­gen wie die Schwei­ge­pflicht oder das Sozi­al­ge­heim­nis in beson­de­rer Weise zur Ver­trau­lich­keit ver­pflich­tet, was wie­derum sehr gut ist.

Zum 01.01.2020 wurde ja in Sach­sen die Neu­fas­sung des Poli­zei­voll­zug­dienst­ge­setz (SächsPVDG) ein­ge­führt. Diese Novel­lie­rung ent­hält neben vie­len ver­fas­sungs­feind­li­chen Son­der­rech­ten für Poli­zei­be­amte, Mög­lich­kei­ten der Über­wa­chung von soge­nann­ten Kontakt- und Begleit­per­so­nen und auch eine wei­tere Auf­wei­chung der Über­wa­chungs­mög­lich­kei­ten bei Berufs­ge­heim­nis­trä­gern bzw. von Bera­tungs­stel­len. Wie seht ihr dahin­ge­hend die Zukunft von (auf­su­chen­der) Sozia­ler Arbeit? Spürt ihr einen erhöh­ten staat­li­chen Druck durch diese neue Gesetzgebung?

Bei uns selbst kommt der Druck der Neu­fas­sung in Sach­sen noch nicht an, aber die gesetz­li­chen Novel­lie­run­gen, die ja bun­des­weit seit eini­gen Jah­ren voll­zo­gen wer­den, gehen natür­lich auch nicht an der Sozia­len Arbeit spur­los vor­bei. Es gibt so eine Art gesell­schaft­li­che „Straf­lust“ und einen Ruf nach här­te­ren Stra­fen, stren­ge­ren Geset­zen und einem rigo­ro­sen Durch­grei­fen des Staa­tes. Dies bekom­men auch Rand­grup­pen deut­lich zu spü­ren und die sind ja häu­fig auch Ziel Sozia­ler Arbeit. Das ist in unse­rem Berufs­feld aber bereits seit eini­gen Jah­ren wie­der ver­stärk­tes Thema in den fach­li­chen Publi­ka­tio­nen und Dis­kus­sio­nen, nicht zuletzt des­halb hat sich ja auch das bun­des­weite Bünd­nis für ein Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht gegrün­det. Die Fach­kräfte in die­sem Beruf arbei­ten nun ein­mal auch mit den jewei­li­gen Umstän­den, das ist Teil des Jobs. Wenn die Ziel­gruppe also zuneh­mend kri­mi­na­li­siert wird – und da sind Fuß­ball­fans nur ein recht klei­nes Bei­spiel unter vie­len – dann ist es auch Auf­gabe Sozia­ler Arbeit, kri­ti­sche Lob­by­ar­beit zu betrei­ben und diese Grup­pen zu befä­hi­gen, ihre Rechte und demo­kra­ti­sche Mög­lich­kei­ten wahr­zu­neh­men. Das ist ein bun­des­wei­tes Thema. 

Abschlie­ßend noch eine Frage: Im Zuge der Ermitt­lun­gen gegen Dyna­mo­fans auf­grund der Vor­komm­nisse in Karls­ruhe am 14.05.2017 rückte euer FAN­HAUS auf der Löb­tauer Straße in den Fokus der ermit­teln­den Poli­zis­ten. Wel­che Aus­wir­kun­gen hatte die Durch­su­chung auf eure direkte Arbeit? Wie fängt man als Sozi­al­ar­bei­ter For­men einer sol­chen staat­li­chen Kri­mi­na­li­sie­rungs­form ab?

Ronald: Das ist schwie­rig zu beant­wor­ten. Es hat uns deut­lich sen­si­bler gemacht für die Art und Weise, wie wir arbei­ten. Die Begrün­dung der Durch­su­chung war ein Witz. Es wurde von unse­rer Home­page zitiert: „Im Fan­treff könnt Ihr Dynamo-Fans tref­fen und Euch sowohl über die ver­gan­ge­nen als auch die noch anste­hen­den Fuß­ball­par­tien austauschen…“
Die Aus­wir­kun­gen sowohl von den Zeu­gen­vor­la­dun­gen als auch der Haus­durch­su­chung sind gewe­sen, dass wir noch ein­mal strik­ter mit Infor­ma­tio­nen und Daten umge­gan­gen sind, als sowieso schon. Außer­dem ist ganz offen­sicht­lich, dass Teile von Jus­tiz und Poli­zei über­haupt keine Kennt­nis davon haben, was Soziale Arbeit bedeu­tet. Aus die­sem Grund sind wir, was Lobby- und Öffent­lich­keits­ar­beit angeht, viel offen­si­ver gewor­den. Es muss in brei­ten Tei­len der Gesell­schaft ankom­men, wel­che Funk­tion und Auf­gabe Soziale Arbeit hat. Wir kön­nen dies in unse­rem klei­nen Fußball-Fanprojekt-Kosmos tun. Wir arbei­ten nach den §§ 11 und 13 aus dem Ach­ten Sozi­al­ge­setz­buch, also Jugend­ar­beit und Jugend­so­zi­al­ar­beit. Dies sind keine frei­wil­li­gen Leis­tun­gen des Staa­tes, son­dern Pflicht­auf­ga­ben. Dem­entspre­chend müs­sen wir mit unse­rer Pro­fes­sion auch mutig auf­tre­ten und unsere Arbeit erklä­ren. Damit wird viel­leicht auch die Hürde erhöht, einen sozi­al­päd­ago­gisch betreu­ten Jugend­treff zu durch­su­chen und dort ggf. auch gesetz­lich geschützte Infor­ma­tio­nen zu beschlag­nah­men wie Bera­tungs­pro­to­kolle etc. Wenn die Beschrei­bung unse­rer gesetz­li­chen Arbeit auf unse­rer Web­site dazu führt, dass unsere Räume durch­sucht wer­den, scheint da noch viel Arbeit vor uns zu liegen.

Ronald, wir wün­schen Dir und dem Fan­pro­jekt Dres­den e.V. wei­ter­hin alles Gute und vie­len Dank für die­ses schöne Gespräch.

Dan­ke­schön.

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