Ihr habt als Sozialarbeiter eine besondere Verantwortung gegenüber eurer Klientel bzw. den aufgesuchten, zu meist jugendlichen Fußballfans. Aufgrund eurer Nähe zu diesen Leuten, den Gesprächen mit ihnen, fungiert somit auch als Geheimnisträger, ähnlich einem Priester, der dem Beichtenden seine Sünden und am Ende die göttliche Absolution erteilt. Welche Gefahren entstehen dadurch für euch als Sozialarbeiter?
Grundsätzlich entstehen durch die uns bekannt gewordenen Geheimnisse gar keine Gefahren. Das ist ja ein Kern unserer Arbeit und unserer Haltung, für junge Menschen vertrauliche Ansprechpartner zu sein. Wenn uns keine Geheimnisse oder vertrauenswürdige Informationen, persönliche Sorgen und Nöte zugetragen werden könnten, dann stellt sich auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Wirkung der Arbeit. Wir haben einen ganz anderen Ansatz als die Polizei. Deren Vorgehen richtet sich ja auf „Probleme“, die Menschen „machen“, die Straftaten begehen. Das ist auch deren Job.
In der Sozialen Arbeit ist unser Blick aber wesentlich weiter. Wir beschäftigen uns nicht ausschließlich mit der Straffälligkeit einer Person, sondern nehmen den ganzen Menschen in den Blick, schauen also nicht nur auf den „Fall“, sondern auch auf Lebenszusammenhänge, Biografie oder auch Problemlagen, in denen diese Personen stecken. Dies ist wesentlich komplexer und erfordert auch eine langjährige, von gegenseitigem Vertrauen geprägte Beziehung zueinander. Das ist ein Kern unserer Arbeit und dieser ist – auch durch die gesetzliche Schweigepflicht oder den Sozialdatenschutz – klar rechtlich geschützt. Leider wird diese Verschwiegenheitverpflichtung im Falle von Strafprozessen aufgehoben. Aus diesem Grund braucht es das Zeugnisverweigerungsrecht für die Soziale Arbeit.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik in meiner Masterarbeit offenbarte, dass sich Fachkräfte selbst in ihrer eigenen Wirkung beschneiden aus der Angst heraus, sensible Informationen von Menschen zu erhalten. Das ist natürlich absolut untragbar. So werden Personen von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern bspw. nicht nach ihrem richtigen Namen gefragt oder Hilfesuchenden wird nahegelegt, in Beratungsgesprächen nicht von sich selbst, sondern von vermeintlichen Freunden zu sprechen. Mir sind aus der Praxis auch Fälle bekannt, in denen Kollegen sich umgedreht haben und gegangen sind, wenn sich Jugendliche Joints gebaut haben, weil sie Angst hatten, dass die Polizei dies beobachtet und die Fachkräfte dann bei eventuellen Strafverfahren gegen ihre eigenen Klienten aussagen müssten. Jahrelang aufgebautes Vertrauen würde damit verständlicherweise zerstört und es spricht sich innerhalb der Zielgruppe herum. Angebote Sozialer Arbeit sind – außer vielleicht in Justizvollzugsanstalten o.ä. – in der Regel absolut freiwillig. Dieser Vertrauensbruch aufgrund von Strafverfahren in einem einzelnen Fall gefährdet jahrelange Arbeit. Dabei ist es die Aufgabe Sozialer Arbeit, mit jungen Menschen auch Dinge wie beispielsweise selbstgefährdende Verhaltensweisen zumindest zu thematisieren. Wenn sich ein Jugendlicher wie selbstverständlich verbotene Drogen reinzieht, dann muss es möglich sein, dass ich es mit der Person kritisch besprechen kann. Dies wird unter diesem Druck immer schwieriger. Während Befugnisse für Sicherheitsbehörden kontinuierlich weiter ausgebaut werden, ist die Begleitung und Unterstützung von Menschen zunehmend gefährdet. Dabei ist auch dies eine wesentliche Aufgabe des Sozialstaates. Wir werden uns auch zukünftig weiter sehr dafür einsetzen, das Zeugnisverweigerungsrecht für unsere Berufsgruppe Realität werden zu lassen.
Welche Erfahrungen musstet ihr als Fanprojektler mit dieser Problematik im Umfeld Fußballfanszene der SG Dynamo Dresden schon machen? Habt Ihr Euch da eine Art Verhaltenskatalog gegeben, wenn es mal „brenzlig“ wird oder Euch Jugendliche Sachen erzählen, von denen Ihr am besten gar nichts wissen wollt?
Einen Verhaltenskatalog für brenzlige Situationen gibt es in dem Sinne nicht, aber wir sind natürlich im Team ganz akribisch dabei, insbesondere Spieltage vor- und nachzubereiten. Dafür gibt es klare Abläufe und die helfen uns auch dabei, kritische Vorkommnisse schnell auszuwerten und bei ähnlichen Situationen zukünftig vorbereitet zu sein. Ein krasses Beispiel dafür ist die Situation rund um das Aufstiegsspiel 2016 in Magdeburg. Nachdem der mit rund 1.000 Personen belegte Entlastungszug auf der Rückfahrt stark von Fans beschädigt wurde, erhielten wir Vorladungen für Christian und Janine, die damals noch bei uns arbeitete. Wir wissen bis heute nicht, ob überhaupt noch anderen Personen vorgeladen worden sind. Jedenfalls war der erste Zugriff auf die zwei Sozialarbeiter im Zug wirklich irritierend. Wir sind dann sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, das unseren Fall allerdings leider nicht zu Entscheidung angenommen hat. Ziel war es dabei, die Ordnungsgelder anzufechten, die gegen uns verhängt wurden wegen der Verweigerung der Aussage. Leider am Ende ohne Erfolg. In der Konsequenz begleiten wir als Fanprojekt seither keine Fans mehr, die mit der Bahn anreisen, obwohl das natürlich auch durchaus wünschenswert für die Bundespolizei wäre, weil sie dann verlässliche Ansprechpartner hätte, die Informationen an die Fans weitertragen können. Andererseits beschneiden wir uns dadurch auch in unserer professionellen Arbeit, weil wir somit auf eine günstige Gelegenheit verzichten, intensive Beziehungsarbeit zu leisten. Das ist sicherlich das prominenteste Beispiel, das zeigt, welche Gefahren aus den Zeugenvorladungen von Fanprojekt-Mitarbeitern für die Soziale Arbeit drohen.
Insgesamt ist das aber letztlich auch immer eine recht abstrakte Gefahr. Es kann natürlich immer etwas passieren, egal ob im Block, beim Fanmarsch oder auf der Anreise – und jede Person als Zeuge vorgeladen werden. Wir sind allerdings durch gesetzliche Regelungen wie die Schweigepflicht oder das Sozialgeheimnis in besonderer Weise zur Vertraulichkeit verpflichtet, was wiederum sehr gut ist.
Zum 01.01.2020 wurde ja in Sachsen die Neufassung des Polizeivollzugdienstgesetz (SächsPVDG) eingeführt. Diese Novellierung enthält neben vielen verfassungsfeindlichen Sonderrechten für Polizeibeamte, Möglichkeiten der Überwachung von sogenannten Kontakt- und Begleitpersonen und auch eine weitere Aufweichung der Überwachungsmöglichkeiten bei Berufsgeheimnisträgern bzw. von Beratungsstellen. Wie seht ihr dahingehend die Zukunft von (aufsuchender) Sozialer Arbeit? Spürt ihr einen erhöhten staatlichen Druck durch diese neue Gesetzgebung?
Bei uns selbst kommt der Druck der Neufassung in Sachsen noch nicht an, aber die gesetzlichen Novellierungen, die ja bundesweit seit einigen Jahren vollzogen werden, gehen natürlich auch nicht an der Sozialen Arbeit spurlos vorbei. Es gibt so eine Art gesellschaftliche „Straflust“ und einen Ruf nach härteren Strafen, strengeren Gesetzen und einem rigorosen Durchgreifen des Staates. Dies bekommen auch Randgruppen deutlich zu spüren und die sind ja häufig auch Ziel Sozialer Arbeit. Das ist in unserem Berufsfeld aber bereits seit einigen Jahren wieder verstärktes Thema in den fachlichen Publikationen und Diskussionen, nicht zuletzt deshalb hat sich ja auch das bundesweite Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht gegründet. Die Fachkräfte in diesem Beruf arbeiten nun einmal auch mit den jeweiligen Umständen, das ist Teil des Jobs. Wenn die Zielgruppe also zunehmend kriminalisiert wird – und da sind Fußballfans nur ein recht kleines Beispiel unter vielen – dann ist es auch Aufgabe Sozialer Arbeit, kritische Lobbyarbeit zu betreiben und diese Gruppen zu befähigen, ihre Rechte und demokratische Möglichkeiten wahrzunehmen. Das ist ein bundesweites Thema.
Abschließend noch eine Frage: Im Zuge der Ermittlungen gegen Dynamofans aufgrund der Vorkommnisse in Karlsruhe am 14.05.2017 rückte euer FANHAUS auf der Löbtauer Straße in den Fokus der ermittelnden Polizisten. Welche Auswirkungen hatte die Durchsuchung auf eure direkte Arbeit? Wie fängt man als Sozialarbeiter Formen einer solchen staatlichen Kriminalisierungsform ab?
Ronald: Das ist schwierig zu beantworten. Es hat uns deutlich sensibler gemacht für die Art und Weise, wie wir arbeiten. Die Begründung der Durchsuchung war ein Witz. Es wurde von unserer Homepage zitiert: „Im Fantreff könnt Ihr Dynamo-Fans treffen und Euch sowohl über die vergangenen als auch die noch anstehenden Fußballpartien austauschen…“
Die Auswirkungen sowohl von den Zeugenvorladungen als auch der Hausdurchsuchung sind gewesen, dass wir noch einmal strikter mit Informationen und Daten umgegangen sind, als sowieso schon. Außerdem ist ganz offensichtlich, dass Teile von Justiz und Polizei überhaupt keine Kenntnis davon haben, was Soziale Arbeit bedeutet. Aus diesem Grund sind wir, was Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit angeht, viel offensiver geworden. Es muss in breiten Teilen der Gesellschaft ankommen, welche Funktion und Aufgabe Soziale Arbeit hat. Wir können dies in unserem kleinen Fußball-Fanprojekt-Kosmos tun. Wir arbeiten nach den §§ 11 und 13 aus dem Achten Sozialgesetzbuch, also Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Dies sind keine freiwilligen Leistungen des Staates, sondern Pflichtaufgaben. Dementsprechend müssen wir mit unserer Profession auch mutig auftreten und unsere Arbeit erklären. Damit wird vielleicht auch die Hürde erhöht, einen sozialpädagogisch betreuten Jugendtreff zu durchsuchen und dort ggf. auch gesetzlich geschützte Informationen zu beschlagnahmen wie Beratungsprotokolle etc. Wenn die Beschreibung unserer gesetzlichen Arbeit auf unserer Website dazu führt, dass unsere Räume durchsucht werden, scheint da noch viel Arbeit vor uns zu liegen.
Ronald, wir wünschen Dir und dem Fanprojekt Dresden e.V. weiterhin alles Gute und vielen Dank für dieses schöne Gespräch.
Dankeschön.