Inter­view mit Ronald Beć — Lei­ter “Fan­pro­jekt Dres­den e.V.” Teil 1

11 Jun 2021 | Allgemein

Vor eini­gen Wochen haben wir uns mit Ronald Beć, dem Geschäfts­füh­rer des Fan­pro­jekt Dres­den e.V. über Video­te­le­fo­nie getrof­fen, haben über die aktu­elle Situa­tion im Fuß­ball dis­ku­tiert, die geplan­ten Kür­zun­gen Sei­tens des DFB bei Fan­pro­jek­ten gere­det, aber vor allem über seine Mas­ter­ar­beit, die den Titel „Raus mit der Spra­che“ trägt und sich mit den aktu­el­len Bemü­hun­gen um eine straf­pro­zes­suale Refor­mie­rung des Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­rechts für Hand­lungs­fel­der Sozia­ler Arbeit befasst, unter­hal­ten. Her­aus­ge­kom­men ist dabei ein klei­nes Inter­view für die Öffent­lich­keit, wel­ches wir Euch nicht vor­ent­hal­ten wollen.

Schwarz-Gelbe Hilfe: Hallo Ronald, du bist nun schon seit eini­gen Jah­ren der „Chef“ vom Fan­pro­jekt Dres­den e.V., erzähl doch erst­mal vor­weg kurz, für alle die Dich nicht ken­nen, etwas zu dei­ner Per­son. Seit wann bist du Dyna­mo­fan? Wie wur­dest du Sozi­al­ar­bei­ter und wie bist du zum Fan­pro­jekt gekommen?

Ronald Beć: Zum Fuß­ball gekom­men bin ich über den ganz klas­si­schen Weg: meine Eltern haben mich schon als klei­nes Kind immer wie­der mit ins Sta­dion genom­men. Die ers­ten bewuss­ten Erin­ne­run­gen stam­men aus der Sai­son 1992/93 und ich war damals schon ziem­lich beein­druckt von dem gan­zen Drum­herum, den Fans, der Laut­stärke, den gan­zen Tur­bu­len­zen rund um den Ver­ein in der dama­li­gen Zeit. Ich kann mich noch ent­sin­nen, dass an der Pin­wand mei­nes Kin­der­zim­mers eine Dynamo-Bastelei hing mit einem Trau­er­flor und Bezug zu Rolf-Jürgen Otto, der der SGD fast das Genick gebro­chen hätte. Rich­tig regel­mä­ßig bin ich dann aber erst als Voll­jäh­ri­ger zu den Spie­len gefah­ren und habe dort auch viele Men­schen ken­nen gelernt, mit denen mich bis heute enge Freund­schaf­ten ver­bin­den. Allein schon aus die­sem Grund bin ich sehr glück­lich, irgend­wann ein­mal in den Dynamo-Kosmos ein­ge­taucht zu sein.
Ich habe nach einer Aus­bil­dung mein Abitur nach­ge­holt und im Anschluss Soziale Arbeit stu­diert. Wäh­rend und nach dem Stu­dium habe ich einige Jahre in ande­ren Ein­rich­tun­gen in Dres­den gear­bei­tet. 2013 bin ich dann ins Fan­pro­jekt gekom­men, nach­dem ich mei­nem jet­zi­gen Kol­le­gen Chris­tian Kabs ein knap­pes Jahr lang ein Ohr abge­kaut und unzäh­lige Male mit ihm dar­über gespro­chen habe, ob man als Fan wirk­lich in einem Fan­pro­jekt arbei­ten sollte. Am Anfang war das auch schwie­rig, aber nach nun­mehr acht Jah­ren weiß ich, dass es genau die rich­tige Ent­schei­dung gewe­sen ist. 2018, nach dem Weg­gang von Fanprojekt-Gründer Tors­ten Rudolph, habe ich dann die Geschäfts­füh­rung in unse­rem Ver­ein übernommen.

Fan­pro­jekte sind ja ein immer wie­der viel­zi­tier­tes Erfolgs­mo­dell in der Sozia­len Arbeit rund um den Fuß­ball­sport. Im bun­des­wei­ten Ver­gleich ist die His­to­rie der Fan­pro­jekte im Osten Deutsch­lands bzw. bei Dynamo Dres­den eine eher jün­gere Geschichte. Was macht die Arbeit eines Fan­pro­jekt­lers aus? Siehst du auf­grund der geschicht­li­chen Ent­wick­lung der Fan­pro­jekte ein Defi­zit zum Ver­gleich zu dei­nen west­deut­schen Kollegen?

Das sehe ich nicht so. Es gibt ja auch im Osten Fan­pro­jekte, die sich sehr früh gegrün­det haben. Das Fan­pro­jekt in Jena besteht bei­spiels­weise schon seit 1991. Außer­dem sind die Stand­orte auch völ­lig unter­schied­lich. Da unter­schei­den sich die Fuß­ball­ver­eine, die Fan­sze­nen, aber auch die Struk­tur der Fan­pro­jekte selbst von­ein­an­der. Viele Pro­jekte sind z.B. bei gro­ßen Trä­gern wie der AWO oder der Cari­tas ange­glie­dert, wir sind wie einige andere Fan­pro­jekte ein eigen­stän­di­ger, klei­ner Ver­ein. Ich kann also vor­der­grün­dig nur für unse­ren Stand­ort spre­chen. Die Arbeit im Fan­pro­jekt in Dres­den macht aus, dass wir die Betei­li­gung von jun­gen Fans als die wich­tigste Säule unse­rer Arbeit ver­ste­hen. Das fängt bei der Gestal­tung der Treff-Angebote an, geht wei­ter über die sehr gute Zusam­men­ar­beit mit euch von der SGH und zeigt sich nicht zuletzt auch in unse­rem Aus­wärts­fra­ge­bo­gen. Gerade mit die­ser Umfrage nach jedem Aus­wärts­spiel haben wir in Deutsch­land wirk­lich ein Allein­stel­lungs­merk­mal, auch wenn mitt­ler­weile auch an ande­ren Stand­or­ten an ähn­li­chen Ideen gear­bei­tet wird. Letzt­lich hat sogar der DFB ein bun­des­wei­tes Pilot­pro­jekt gestar­tet, was sich stark an unse­rem Kon­zept des Fra­ge­bo­gens und der Spiel­tags­aus­wer­tung ori­en­tiert. Das ist schon besonders.
Ansons­ten sind wir in ganz klas­si­schen Berei­chen der Jugend­ar­beit aktiv: offene Treffs, mobile Arbeit, Bera­tung, außer­schu­li­sche Jugend­bil­dung, Netz­werk­ar­beit, etc. pp. Zusam­men­ge­fasst kann man sagen, dass wir junge Men­schen in ihrem All­tag auf dem Weg ins Erwach­sen­wer­den beglei­ten. Wich­tig ist uns dabei, einen wert­schät­zen­den und akzep­tanz­ori­en­tier­ten Umgang mit den Jugend­li­chen zu haben. Wir ver­su­chen, den gan­zen Men­schen in den Blick zu neh­men und sind keine Umerziehungsanstalt.

Wie sehr hat sich eure Arbeit durch Corona verändert?

Ronald: Rela­tiv stark, denn natür­lich dreht sich bei uns sehr viel um den direk­ten, per­sön­li­chen Aus­tausch. Da Fans bei Spie­len ja aktu­ell außen vor sind, haben wir vor­ran­gig im Fan­haus, tele­fo­nisch oder digi­tal über Mes­sen­ger Kon­takt zu den Jugend­li­chen und jun­gen Erwach­se­nen. Wir haben bereits nach dem ers­ten Lock­down unser Außen­ge­lände in den Blick genom­men und ein paar Dinge orga­ni­siert, die es uns auch ermög­li­chen, bei käl­te­ren Tem­pe­ra­tu­ren in gemüt­li­cher Atmo­sphäre zusam­men­zu­kom­men. In der Phase des Lock­downs haben wir unse­ren Fan­treff digi­tal ange­bo­ten und mit ver­schie­de­nen Spie­len oder Ange­bo­ten gestal­tet. Ob „Fan­gruppe, Sta­dion, Ver­ein“ im Stil von „Stadt, Land, Fluss“ oder ein Abend mit Gedich­ten in säch­si­scher Mund­art – wir haben ver­sucht, in die­ser gerade für junge Men­schen nicht ein­fa­chen Phase etwas Zer­streu­ung und Unter­hal­tung zu schaf­fen. Aber das ersetzt ein­fach kei­nen unmit­tel­ba­ren per­sön­li­chen Aus­tausch. Mitt­ler­weile haben wir unse­ren Treff glück­li­cher­weise wie­der geöff­net, unter Berück­sich­ti­gung unse­res Hygie­ne­kon­zep­tes ist das ver­ant­wort­bar und vor allem für junge Fans abso­lut erfor­der­lich, da sons­tige Frei­zeit­an­ge­bote feh­len. Wir sind da in engem Aus­tausch mit dem Fanszene-Nachwuchs, um deren Wün­sche und Ideen gemein­schaft­lich umzu­set­zen. Das funk­tio­niert wirk­lich großartig.

Auf­grund des Infek­ti­ons­schut­zes und einer Teil­zu­las­sung von Fans in Fuß­ball­sta­dien im Spät­som­mer und Herbst 2020 kam das Thema „per­so­na­li­sierte Ein­tritts­kar­ten“ wie­der stark in den Fokus. Her­mann Wink­ler, Prä­si­dent des säch­si­schen Fuß­ball­ver­ban­des, möchte diese Form der Ein­tritts­kar­ten, für den Kampf gegen Pyro und Gewalt auf den Rän­gen, zu Fuß­ball­spie­len auch nach dem Ende der Pan­de­mie nut­zen. Wir, als Schwarz-Gelbe Hilfe e.V., spre­chen uns immer wie­der gegen per­so­na­li­sierte Tickets aus. Wie siehst du das? Sind per­so­na­li­sierte Tickets ein geeig­ne­tes Mit­tel zur Gewaltprävention?

Nein, neben den daten­schutz­recht­li­chen Beden­ken ist auch die Erwar­tungs­hal­tung, hier gewalt­prä­ven­tiv irgend­eine Wir­kung zu erzie­len oder Straf­ver­fol­gung zu erleich­tern, völ­lig an der Rea­li­tät vor­bei. Man sollte nach wie vor nicht ver­ges­sen, dass Fuß­ball­sta­dien in Deutsch­land extrem sichere Orte sind. Der­ar­tige Pläne und die mas­sen­hafte Ver­ar­bei­tung von Daten sind daher aus mei­ner Sicht abso­lut unan­ge­mes­sen. Allein die aktu­el­len Dis­kus­sio­nen um die 1.000 neuen Ein­träge in der Datei „Gewalt­tä­ter Sport“ zei­gen doch, dass im Fuß­ball­kon­text sowieso schon Unmen­gen an Infor­ma­tio­nen und Daten von Fans gespei­chert wer­den – teils mit gra­vie­ren­den Fol­gen für die Beteiligten.

Wel­che wei­te­ren Gefah­ren siehst du auf­grund der aktu­ell lee­ren Ränge in unmit­tel­ba­rer Zukunft für die Fan­kul­tur bei Dynamo Dres­den? Wird die Zeit nach Corona ein Stim­mungs­mo­tor sein oder haben sich in dei­nen Augen viele Fans vom Pro­fi­sport auf­grund diver­ser Fehl­ver­hal­ten Sei­tens Vereins- und Ver­bands­funk­tio­nä­ren end­gül­tig den Rücken gekehrt?

Das ist sehr schwer wirk­lich seriös zu beant­wor­ten. Natür­lich gibt es auch Fans, die jetzt seit über einem Jahr ihre Wochen­en­den nicht mehr für Fuß­ball­spiele und Aus­wärts­fahr­ten nut­zen und ver­ein­zelt führt das viel­leicht auch dazu, dass sich Fans neu ori­en­tie­ren. Ich denke aber, dass ins­be­son­dere die Fan­szene der SGD so mit dem Ver­ein ver­bun­den ist, dass es dort kei­nen Ader­lass geben wird. Ins­ge­samt sind aber die Ent­wick­lun­gen im Pro­fi­fuß­ball, Stich­wort Katar, „Som­mer­mär­chen“, Kor­rup­tion, etc. der­art dyna­misch, dass man es eigent­lich nie­man­dem ver­den­ken kann, wenn man davon die Nase voll hat.

Durch die Corona-Pandemie und vor allem der finan­zi­el­len Bewäl­ti­gung die­ser Krise dro­hen den sozia­len Ein­rich­tun­gen in Zukunft mas­sive Kür­zun­gen durch Kom­mu­nen, Län­dern und dem Bund. Auch der DFB kün­digte im Sep­tem­ber Kür­zun­gen in der soge­nann­ten Drittel-Finanzierung der Fan­pro­jekte an, sprach gar von einem Aus­stieg aus der För­de­rung von sozia­len Ein­rich­tung unter­halb der Drit­ten Liga. Wie siehst du diese zukünf­tige Situa­tion? Wel­che Aus­wir­kun­gen hät­ten sol­che Kür­zun­gen auf eure Arbeit? Siehst du die ein­zelne Fanprojekt-Standorte gar in Gefahr?

In sei­ner Prä­si­di­ums­sit­zung im März hat der DFB den eige­nen Beschluss wie­der kas­siert und eine För­de­rung der Fan­pro­jekte bis Ende 2022 zuge­si­chert. Vom DFB wurde ein „Reform­pro­zess“ aus­ge­ru­fen, der eigent­lich nur vom Ver­band selbst als not­wen­dig gese­hen wird. Er hat dafür von vie­len Sei­ten Kri­tik ein­ste­cken müs­sen, egal ob aus der Poli­tik, aus den Län­dern oder Kom­mu­nen. Aber ins­be­son­dere von vie­len Fans. Bis­lang ist nicht klar, was mit „Reform­pro­zess“ gemeint ist, unter dem Strich liegt aber die Ver­mu­tung nahe, dass ein wesent­li­cher Punkt durch­aus die Finan­zie­rung für den DFB ist, auch wenn dies bis­lang noch nicht in der Klar­heit for­mu­liert wurde. Man muss sehen, wie sich diese Dis­kus­sion in den kom­men­den Mona­ten ent­wi­ckelt. Ich denke, bis zum Sep­tem­ber wird es hier Klar­heit geben.

Kom­men wir nun auf deine Mas­ter­ar­beit, wel­che den Titel „Raus mit der Spra­che“ und den Fokus auf Bemü­hun­gen um eine straf­pro­zes­suale Refor­mie­rung des Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­rechts für Hand­lungs­fel­der Sozia­ler Arbeit hat, zu spre­chen. Wie bist du auf die­ses Thema gekommen?

Wir waren im Fan­pro­jekt in den ver­gan­ge­nen Jah­ren mehr­fach mit der Situa­tion kon­fron­tiert, dass Ermitt­lungs­be­hör­den Infor­ma­tio­nen von uns erhal­ten woll­ten, die wir ihnen weder geben konn­ten noch durf­ten. Durch den gro­ßen Fokus der Sicher­heits­be­hör­den auf Fuß­ball­fans gera­ten Fan­pro­jekte natür­lich schnell ins Blick­feld von Ermitt­lun­gen, sodass wir uns hier deutsch­land­weit struk­tu­riert auf­stel­len müs­sen. Aber es betrifft auch andere Hand­lungs­fel­der in der Sozia­len Arbeit, z.B. Opfer­be­ra­tungs­stel­len, Street­wor­k­an­ge­bote, Aus­stiegs­pro­gramme für Extre­mis­ten, etc. Diese Dis­kus­sion ist seit den frü­hen 70ern immer wie­der im Bereich der Sozia­len Arbeit auf­ge­kom­men und durch die Fan­pro­jekte ist es nun wie­der ein wich­ti­ges fach­li­ches Thema gewor­den. Mitt­ler­weile set­zen sich auch Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker auf Landes- und Bun­des­ebene mit dem Thema aus­ein­an­der, aber es wird noch ein jah­re­lan­ger Pro­zess blei­ben, bis wir hier zufrie­den­stel­lende Erfolge fei­ern können.
Da es wenig Lite­ra­tur und wis­sen­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Thema gibt, war es mir wich­tig, das feh­lende Zeug­nis­ver­wei­ge­rungs­recht für die Pra­xis zu unter­su­chen, um so auch einen Teil in die­ser Dis­kus­sion bei­zu­tra­gen. Aus die­sem Grund habe ich das Thema gewählt.

Das war der erste Teil des Inter­views, seid gespannt auf den 2. Teil.

Mehr Artikel

Straf­be­fehle gegen Sozi­al­ar­bei­ter in Fan­pro­jek­ten sind unhalt­bar – Ermitt­lun­gen gegen Fuß­ball­fans neh­men gro­teske Züge
Straf­be­fehle gegen Sozi­al­ar­bei­ter in Fan­pro­jek­ten sind unhalt­bar – Ermitt­lun­gen gegen Fuß­ball­fans neh­men gro­teske Züge

Straf­be­fehle gegen Sozi­al­ar­bei­ter in Fan­pro­jek­ten sind unhalt­bar – Ermitt­lun­gen gegen Fuß­ball­fans neh­men gro­teske Züge

Das Bündnis für Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit hat öffentlich gemacht, dass Sozialarbeiter im Fanprojekt Karlsruhe mit Strafbefehlen überhäuft wurden, weil sie sich an ihre Schweigepflicht gehalten und nicht gegen Fußballfans ausgesagt haben. Die...