Sach­sen sam­melt Fußballfans

7 Jun 2016 | Allgemein, Blick über den Tellerrand

Die nahezu gren­zen­lose Daten­samm­lun­gen säch­si­scher Poli­zei­be­hör­den über Fuß­abll­fans erreicht einen neuen nega­ti­ven Höhepunkt.

Wie wir schon Mitte Juni letz­ten Jah­res berich­te­ten, legte Ende Mai 2015 das säch­si­sche Innen­mi­nis­te­rium unter Füh­rung des CDU-Innenministers Mar­kus Ulbig, der Abge­or­de­ten Juliane Nagel (DIE LINKE) in einer Ant­wort auf eine par­la­men­ta­ri­sche Anfrage dar, dass es keine lan­des­wei­ten Dateien über Fuß­ball­fans in Sach­sen gäbe, son­dern statt­des­sen die vor­han­de­nen säch­si­schen Daten­sys­teme (PASS, IVO und eFAS) zur Spei­che­rung von gewalt­be­rei­ten Anhän­gern nutze. Ein­zige Aus­nahme war das Poli­zei­prä­si­dium in Dres­den, wel­ches eine unab­hän­gige Datei mit der nebu­lö­sen Bezeich­nung: “Gewalt­tä­tig­kei­ten, sons­tige Straf­ta­ten sowie bedeu­tende Ord­nungs­wid­rig­kei­ten im Zusam­men­hang mit Sport­ver­an­stal­tun­gen und Groß­ver­an­stal­tun­gen” über Anhän­ger der SG Dynamo Dres­den führte. Ins­ge­samt wur­den in dem Sys­tem von 2005 bis Januar 2014 769 Per­so­nen erfasst, die der SG Dynamo Dres­den zuge­ord­net wur­den. Eine detail­ierte Aus­kunft über die Nut­zung der oben genann­ten säch­si­schen Daten­bänke gab das Minis­te­rium des Innern nicht.

Am 9. März 2016 erhielt der säch­si­sche Par­la­men­ta­rie­rer Valen­tin Lipp­mann (Bünd­nis 90/Die Grü­nen) eine Ant­wort auf seine Anfrage über die Exis­tenz von Arbeits­da­teien soge­nann­ter Sze­ne­kun­di­ger Beam­ter (SKB). Auch dort ver­neinte Innen­mi­nis­ter Ulbig noch ein­mal die Exis­tenz geson­der­ter Arbeits­da­teien in Sach­sen. Aller­dings seien nach der Ein­füh­rung des “ermitt­lungs­un­ter­stüt­zen­den Fall­ana­ly­se­sys­tem Sach­sen” (eFAS) am 11. Dezem­ber 2008 eigen­stän­dige Ver­fah­ren für den Phä­no­men­be­reich Sport und Gewalt ein­ge­rich­tet wur­den. Ziel sei die com­pu­ter­ge­stützte Unter­stüt­zung bei der Bear­bei­tung und Aus­wer­tung kri­mi­nal­po­li­zei­li­cher Infor­ma­tio­nen in eben die­sem Bereich “Sport und Gewalt” gewe­sen. Die Spei­che­rung von per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten im eFAS-Verfahren “Gewalt­tä­ter Sport” beruhe auf Vor­gän­gen aus dem säch­si­schen Vor­gangs­be­ar­bei­tungs­sys­tem (IVO) und einer wei­te­ren Daten­bank des Lan­des Sach­sen, dem Poli­zei­li­chen Aus­kunfts­sys­tem Sach­sen (PASS). Das eFAS-Verfahren soll der­zeit von drei Poli­zei­di­rek­tio­nen in Sach­sen genutzt wer­den. Die PD Dres­den spei­chert aktu­ell 328 Per­so­nen­da­ten­sätze, PD Leip­zig 102 und die PD Zwi­ckau 164.

Aufgeschlüsselt Gewalttäter Sport eFAS nach Vereinen aus Drs-Nr. 6/4392

Auf­ge­schlüs­selt Gewalt­tä­ter Sport eFAS nach Ver­ei­nen aus Drs-Nr. 6/4392

In die­ser Daten­bank wer­den neben per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten, auch, die nach bun­des­ein­heit­li­chen Stan­darts geführ­ten, Kate­go­ri­sie­run­gen von Fuß­ball­fans gesi­chert. Zur gesetz­li­chen Grund­lage dient §43 des Säch­si­schen Poli­zei­ge­setz (Sächs­PolG). Über eine mög­li­che Löschung eines Daten­sat­zes äußerte sich der Innen­mi­nis­ter Mar­kus Ulbig wie folgt: “Für per­so­nen­be­zo­gene Daten ist in eFAS eine Aus­son­de­rungs­frist von zwei Jah­ren vor­zu­ge­ben. Eine auto­ma­ti­sierte Rou­tine prüft das Aus­son­de­rungs­da­tum. Mit Errei­chen des Aus­son­de­rungs­da­tums ent­schei­det der Sach­be­ar­bei­ter über Löschung […].”

Im April 2016 folgte durch den Abge­ord­ne­ten Lipp­mann eine wei­tere par­la­men­ta­ri­sche Anfrage an das Säch­si­schen Minis­te­rium des Innern (SMI), dies­mal unter der Über­schrift “Per­so­nen­ge­bun­dene Hin­weise in poli­zei­li­chen Daten­bän­ken (PHW)”. Per­so­nen­be­zo­gene Hin­weise (PHW) ste­hen in eben die­sen Daten­ban­ken zum Zweck der “Eigen­si­che­rung der Poli­zei”; die tat­säch­li­che Anwen­dung geht natür­lich weit dar­über hin­aus, denn in den meis­ten Fäl­len erge­hen sub­jek­tive Ein­schät­zun­gen der Poli­zis­ten oder geäu­ßerte Erkent­nisse der jewei­li­gen Per­so­nen in diese Daten­ban­ken als PHW mit ein. Gerade diese sub­jek­tiv getrof­fe­nen Ein­schät­zun­gen ein­zel­ner Beam­ter kön­nen falsch sein und damit auf andere Poli­zei­be­amte, die auf diese Daten zugrei­fen, schnell einen fal­schen Ein­druck von einer Per­son geben. So ver­wun­dert es kaum, wenn auf Grund sol­cher per­so­nen­ge­bun­de­nen Hin­weise ein­ge­setzte Beamte ihr Ver­hal­ten ent­spre­chend anpassen.

Aus dem Report des Minis­te­rium, die sich auf das “Poli­zei­li­che Aus­kunfts­sys­tem Sach­sens” (PASS) beru­fen, kom­men nun erschre­ckende Erkennt­nisse zu Tage. Nicht nur das säch­si­sche Behör­den wei­ter­hin an PHW-Kategorien wie “Land- & Stadt­strei­cher” fest­hal­ten, die auf BKA-Ebene bereits 2014 abge­schafft wur­den, son­dern auch, dass es eine erheb­li­che Dif­fe­renz zwi­schen der Anzahl an gespei­cher­ten Men­schen der jewei­li­gen Kate­go­rien auf Länder- (PASS) und Bun­des­ebene (INPOL) gibt. Als erste Reak­tion auf die neuen Erkennt­nisse bezeich­nete der Abge­ord­nete Valen­tin Lipp­mann in einer Pres­se­mit­tei­lung vom 20. Mai 2016 die Daten­samm­lung der säch­si­schen Poli­zei über Per­so­nen dar­auf­hin fol­ge­rich­tig als “ufer­los”.

Auschnitt PHW im PASS aus Drs-Nr. 6/4861

Aus­chnitt PHW im PASS aus Drs-Nr. 6/4861

 Gewalttäter Sport aus Sachsen (INPOL)- Ausschnitt aus Drs-Nr. 6/4562

Gewalt­tä­ter Sport aus Sach­sen (INPOL)- Aus­schnitt aus Drs-Nr. 6/4562

Auf­fäl­lig und inter­es­sant für uns ist dabei vor allem die Kate­go­rie “Gewalt­tä­ter Sport” der PASS-Datenbank, wel­che in Sach­sen urplötz­lich ins­ge­samt 1156 Daten­sätze umfasst. Zum Ver­gleich: Bei INPOL, dem bun­des­län­der­über­grei­fen­den Infor­ma­ti­ons­sys­tem deut­scher Poli­zeien des BKA, wer­den gegen­wär­tig ledig­lich 313 Per­so­nen aus Sach­sen als Gewalt­tä­ter Sport gespei­chert. Im wei­ter oben erwähn­ten Ver­fah­ren des “ermitt­lungs­un­ter­stüt­zen­den Fall­ana­ly­se­sys­tem Sach­sens” (eFAS) kommt die säch­si­che Exe­ku­tive schon auf 594 angeb­lich gewalt­tä­tige Fuß­ball­fans. Dass nun in der PASS-Datenbank sogar von fast dop­pelt so viel erfass­ten Per­so­nen die Rede ist, lässt Raum für Spe­ku­la­tio­nen und offene Frage:

Warum gibt es neben der daten­schutz­recht­lich höchst frag­wür­di­gen, vom Bun­des­kri­mi­nal­amt geführ­ten INPOL-Datei ‘Gewalt­tä­ter Sport’, eine zusätz­li­che säch­si­sche Datei im eFAS-Verfahren?
Wozu wer­den wei­tere Per­so­nen mit dem PHW “Gewalt­tä­ter Sport” im PASS gespei­chert? Wie sind dann vor­al­lem die quan­ti­ta­ti­ven Unter­schiede zwi­schen PASS und eFAS zu erklären?
Auf wel­che die­ser Daten bezieht sich die säch­si­sche Poli­zei bei der Gefährdungs- und Lage­ein­schät­zun­gen im Vor­feld von Fußballspielen?
Was pas­sierte mit den Daten­sät­zen der angeb­lich nicht mehr exis­ten­den Datei namens “Gewalt­tä­tig­kei­ten, sons­tige Straf­ta­ten sowie bedeu­tende Ord­nungs­wid­rig­kei­ten im Zusam­men­hang mit Sport­ver­an­stal­tun­gen und Groß­ver­an­stal­tun­gen” der Poli­zei­di­rek­tion Dresden?

Anders als die von der Land­tags­frak­tion Bündnis90/Die Grü­nen gefor­derte Löschung, set­zen wir uns für eine Sper­rung aller in Sach­sen geführ­ter Dateien über Fuß­ball­fans ein, um eine demo­kra­ti­sche Auf­ar­bei­tung der Daten­sam­mel­wut durch die säch­si­sche Poli­zei gewähr­leis­ten zu kön­nen. Eine Sper­rung hätte dar­über hin­aus den Vor­teil, dass Betrof­fene wei­ter­hin die Mög­lich­keit erhal­ten wür­den, die über sie gespei­cher­ten Daten abfra­gen zu können.

Eure Schwarz-Gelbe Hilfe

Ihr ver­mu­tet, dass säch­si­sche Behör­den Euch in einer die­ser Dateien gespei­chert haben? Wir hel­fen Euch bei einer mög­li­chen Aus­kunfts­er­su­chung natür­lich! Mel­det Euch ein­fach bei uns.

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