Die Sportgemeinschaft Dynamo Dresden trat am 12.10.2014 in Freiberg zum Sachsenpokal-Achtelfinale gegen den dortigen Bergstädtischen Sportclub an. Für die damaligen Landesliga-Kicker das Highlight der Saison, für die Profimannschaft der SG Dynamo Dresden ein Pflichtsieg. Neben den rund 3.500 Zuschauern waren auch Christian* und Winfried*, beide jahrelange eingefleischte Fans, die nahezu jedes Spiel der SGD begleiten, mit von der Partie im Stadion “Platz der Einheit”. Die Kicker der Sportgemeinschaft zogen nach 90 Minuten erwartungsgemäß mit einem 5:1 Sieg in das Viertelfinale ein. Während Christian und Winfried nach Spielende noch über die Saltoeinlage des Flitzers lachten, kam es an anderer Stelle des Sportplatzes zu einer Personalienfeststellung einiger Dynamofans durch die Polizei. Daraufhin solidarisierten sich einige anwesende Fußballfans und es folgte ein kurzes Handgemenge.
Ein Polizist zog sich nach eigener Angabe durch die reibende Hose in Folge eines Trittes eine Schürfwunde am Bein zu. Die Anzeige wurde geschrieben und der verletzte Beamte kommunizierte eine vage aber folgenreiche Beschreibung des flüchtigen Täters: männliche Person mit grauem Pullover, kräftige Statur, ca. 1,90m und mit Rucksack. Was darauf für die oben genannten Dynamofans folgte, war eine nie enden wollende Verlängerung des Sachsenpokal-Achtelfinales.
Aufgrund der Ratlosigkeit der anwesenden Polizeibeamten gab man telefonisch die Personenbeschreibung des Täters an die szenekundigen Beamten (SKBs) des Dresdner Polizeipräsidiums weiter. Diese schlussfolgerten prompt, dass es sich bei den Tatbeteiligten nur um Christian und Winfried handeln könne. Die Begründung war ja glasklar, Winfried trägt zu Heim- und Auswärtsspielen immer einen Rucksack, in dem er die Zaunfahnen der Fanszene verstaut. Christian ist des Öfteren mit ihm unterwegs. Also schnell die etwa fünf Jahre alten Lichtbilder der beiden Fans an den geschädigten Polizeibeamten geschickt und, welch Überraschung, erkennt er beide Anhänger als Beteiligte an der Rangelei wieder.
Doch nun kommt den ausgiebigen Ermittlungen und der fast schon ausufernden Spurensuche der Polizei die eifrig arbeitende Staatsanwaltschaft Freiberg dazwischen. Diese forderte die Szenekundigen Beamten dazu auf, aufgrund der Tatsache, dass es keinen Videobeweis gab und auch keine Personalienfeststellung der Beiden an diesem Tag vorlag, eine Lichtbildmappe vorzulegen. Wenig später wird diese Lichtbildmappe, mit mehreren Fotos verschiedenster Personen, den am Tatort eingesetzten Beamten vorgelegt. Der geschädigte Beamte erkennt wieder Christian und Winfried als Täter, ein weiterer Polizist will nur Christian gesehen haben. Die Staatsanwaltschaft stellt nun gegen Winfried die Ermittlungen ein, Christian allerdings bekommt Post von der Staatsanwaltschaft Freiberg — Strafbefehl über 1.500€ — er fällt aus allen Wolken!
Er meldet sich als Mitglied der Schwarz-Gelben Hilfe an die Solidargemeinschaft und bekommt umgehend Hilfe zugesagt und eine Anwältin für Strafrecht gestellt, welche innerhalb der Frist von 14 Tagen in Widerspruch gegen den Strafbefehl geht und Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft Freiberg beantragt. Nach dem gemeinsamen Durchschauen der vorhandenen Akte fordert Christians Anwältin die Einstellung des Verfahrens gegen ihren Mandanten, doch die Staatsanwaltschaft hält an dem diesem Vorgang fest. Begründet wurde dieses Vorgehen mit dem “hohen öffentlichen Interesse” an diesem Fall.
Mitte August 2016 ging das Verfahren nun in das Elfmeterschießen. Das Amtgericht Freiberg lud, nach dreifachen Verschieben des Termins, den vermeintlichen Täter und die vermeintlichen Zeugen des Vorfalls vor Gericht. Als erstes wurde der geschädigte Polizeibeamte vernommen. Dieser stellte aufgrund der oben genannten Schürfwunde einen Antrag auf Schmerzensgeld bei der Vorsitzenden Richterin. Leider war dieser Antrag fehlerhaft, da sich dieser sich nicht auf den vorliegenden Fall, sondern auf einen späteren Einsatz in Dresden bezog. Die Richterin ließ den Beamten den Antrag erneut ausfüllen und ging zur Beweisaufnahme über. In seiner Aussage beschrieb der Polizist ein haarsträubendes Szenario. Der Angeklagte hätte während des Handgemenges seinen Kumpel Winfried mit hassverzerrtem Gesicht zur Seite geschoben, welches er der Richterin mehrfach mimisch zu veranschaulichen versuchte, und ihn mit den Worten: “Jetzt gibt’s auf die Fresse, ihr Wichser” einen sogenannten “Lowkick” verpasst. Als er nach seinem Pfefferspray griff, um ihm dieses ins Gesicht zu sprühen, hätte sich Christian mit einem gelben Halstuch vermummt, um sich gegen den Wirkstoff zu schützen. Weiterhin konnte der Beamte berichten, dass er umgehend nach dem Einsatz einen Bericht über den Vorfall geschrieben hätte. Auf Nachfrage der Rechtsvertretung Christians, warum dieser erst zwei Monate nach dem Vorfall in den Akten auftauche, versuchte er dieses Detail mit dem bürokratischen System und Hürden des Polizeiapparates zu erklären. Nach dem beschriebenen Szenario wären er und weitere am Vorfall beteiligte Polizisten umgehend auf die Dresdner Schießgasse gefahren, um sich dort die Lichtbilder Christians und Winfrieds anzuschauen. Wenig später hätte man den Dienst dort beendet. Ob er daraufhin krankgeschrieben war, könne er nicht mehr sagen.
Als es um die berichtete Personenbeschreibung des Opfers ging, wiederholte er seine Aussage. Der Täter wäre etwa 1,90m, also genauso groß wie er und von kräftigerer Gestalt gewesen. Die Richterin ließ daraufhin den Angeklagten neben das Opfer stellen um sich ein Bild zu machen. Christian willigte ein und siehe da, er ist schmächtiger und von kleinerer Gestalt als der Polizeibeamte. Zeuge Nummer zwei war ein ebenfalls am Tatort eingesetzter Polizist. Er beschrieb das oben genannte Szenario nahezu eins zu eins, verneinte allerdings die Nachfrage, ob der Täter ein Fanutensil, wie etwa einen Schal oder ein gelbes Halstuch getragen hätte. Desweiteren beschrieb er das Szenario nach dem Vorfall anders als das Opfer. Nicht etwa auf der Polizeidirektion Dresden hätte man sich die Lichtbilder der beiden angeschaut, sondern diese wurden noch vor Ort und ca. eine halbe Stunde nach Vorfall auf einem Laptop in einem Einsatzwagen direkt in Freiberg inspiziert. Als Christians Anwältin versuchte nun die Wahrheit herauszufinden, wo denn nun die Bilder angeschaut wurden, verstrickte sich der Beamte in weitere Ungereimtheiten und widersprüchliche Aussagen. Kurzzeitig wurde auch die Vorsitzende Richterin bei der Frage, welche Version denn hier nun stimmen solle, etwas lauter. Der Beamte antwortete nun nur noch in kurzen Sätzen oder konnte sich gar nicht mehr erinnern.
Nach zweistündiger Verhandlung unterbrach die Richterin vorläufig den Prozess. Nach einer kurzen Pause entschied sie sich nun keine weiteren Zeugen mehr zu vernehmen, da aus ihrer Sicht die Sache jetzt schon klar wäre. Der Staatsanwalt legte jedoch gegen die Entscheidung mit den Worten: “Ich werde keinen Freispruch beantragen, so viel kann ich sagen.” sein Veto ein. Also folgte der ermittelnde Szenekundige Beamte als Zeuge. Dieser konnte zu den Vorfällen in Freiberg rein gar nichts beitragen, außer dass er die oben beschriebenen Erkenntnisse schlussfolgerte und die Lichtbilder den Beamten zukommen ließ. Da die Beamten die Täter umgehend aufgrund der Bilder wiedererkannt hätten und ihm das auch mitteilten, ließ er diese Erkenntnisse auch dem Staatsanwalt zukommen. Da dies allerdings der Staatsanwaltschaft zu wenig war, erhielt er den Auftrag, eine Lichtbildmappe mit vermeintlichen Tätern zu erstellen, um diese erneut den Beamten vorzulegen. Die einzigen Kriterien für die Erstellung der Mappe wären gewesen: männliche Personen zwischen 20–30 Jahren und heller Hautfarbe. Diese Mappe hätten dann die Polizisten vor den Toren der Schießgasse begutachtet, es musste damals irgendwie schnell gehen. Auf Nachfrage, wie man dann eine Absprache unter den Beamten bei der Identifizierung hätte vermeiden können, wurde nur herumgedruckst.
Es folgten, neben der Zeugenaussage seines Kumpels Winfried, eine weitere Aussage seines Begleiters Christians an diesem Tag. Beide versicherten dem Gericht, dass sie zur fraglichen Zeit etwa 20 Meter vom Vorfall entfernt standen. Desweiteren hätte man sich an diesen Tag immer mindestens in Sichtkontakt befunden. Auch hätte niemand von ihnen an der Auseinandersetzung teilgenommen. Die Richterin schloss daraufhin die Beweisaufnahme endgültig und es folgten nun die Plädoyers. Dies war nun das Zeichen für den großen Auftritt des Staatsanwalts. In seinem Schlussbericht verkündete er, dass man von den Äußerungen der beiden Fußballfans sowieso nichts anderes erwartet hätte, als diese Aussagen und man diesen Zeugen keinerlei Beachtung zukommen lassen sollte. Desweiteren ließ er verlauten, dass er sich sicher sei, das mindestens Christian, wenn nicht gar alle drei Dynamoanhänger, an der Schlägerei mit der Polizei teilgenommen hätten, man es ihnen allerdings nicht nachweisen könne. Schützend stellte er sich nun vor die Aussagen aller Polizeibeamten an diesem Tag. Man solle doch mehr Verständnis für die Polizisten aufbringen, denn “… da kann man sich halt nicht mehr an jeden Einsatz im Detail erinnern”. Aufgrund der nun widersprüchlich im Raum stehenden Aussage blieb ihm allerdings auch nichts anderes übrig, als auf einen Freispruch für Christian zu plädieren.
Die Richterin sprach Christian wenig später von allen Vorwürfen der Anklage frei und äußerte zu ihrer Urteilsverkündung nur, dass sie unter diesen Umständen keinesfalls eine Verurteilung verantworten könne.
Die Kosten des Verfahrens inklusive der Auslagen Christians trägt nun der Steuerzahler. Dieses Verfahren hinterließ bei uns, trotz des Freispruches einen faden Beigeschmack, denn die Art und Weise der geführten Ermittlungen und die Aussagen der Staatsanwaltschaft hinterlassen einen Eindruck der Unantastbarkeit von Polizisten. Fehlerhafte und vorschnelle Schlußfolgerungen bei Ermittlungen, falsche Beschuldigungen und gezielte Falschaussagen bleiben für deutsche Polizisten aufgrund fehlender Kontrollinstitutionen weiterhin folgenlos.
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Eure Schwarz-Gelbe Hilfe