Ende März dieses Jahres kam es am Amtsgericht Aue zu einem Gerichtsprozess, bei dem ein Fußballfan der Sportgemeinschaft Dynamo Dresden durch mindestens zwei “Super-Recognizer” der Sächsischen Polizei wiedererkannt worden sein soll, zu einem Freispruch. Ausgangspunkt war eine strafrechtlich relevante Handlung beim Lokalderby des FSV Zwickau gegen den FC Erzgebirge Aue im Erzgebirgsstadion am 11.09.2022. Es kam zu polizeilichen Ermittlungen in den sozialen Medien seitens der Wiedererkenner der Sächsischen Polizei, von denen scheinbar zu Großes durch den eigenen Arbeitgeber, der Politik aber auch den Medien erwartet wird.
Nach über 22 Jahren kommt es am 8. Spieltag der 3. Liga im September 2022 zu einem Wiederaufeinandertreffen beider Erzrivalen. Das heißblütige Westsachsen-Derby ist vorallem geprägt durch die Feindschaft beider Fußballvereine, welche sich vor allem auf den Rängen der Stadien abspielt. Egal ob Fahnendiebstähle, gewalttätige Auseinandersetzungen auf und neben der Fußballplätze oder gar brennenden Hochsprungmatten — es gibt nur Weniges, was diese Fußballspiele noch nicht gesehen hätten. Der Fokus der insgesamt rund 530 Einsatzkräfte lag somit auf der strikten Trennung der beiden Fanlager, der Absicherung des Stadionumfelds sowie der Gewährleistung der sicheren An- sowie Abreise aller Fußballfans. Am Ende wurde dieses Westsachsen-Derby vor allem durch reichlich Pyrotechnik auf beiden Fanseiten und einem mehrheitlich gescheiterten Platzsturm lila-weißer Fußballanhänger geprägt. Wenige Stunden nach Abpfiff meldete die Pressestelle der Sächsischen Polizei bereits 36 mehr oder wenige relevante Straftaten.
Vorallem bei der ausgiebige Sichtung und Auswertung des Videomaterials erfolgte auch der Einsatz sogenannter “Super-Recognizer”. Ein durch die Polizei und Politik medial gehyptes Phänomen, welches immer wieder in der Berichterstattung polizeilicher Ermittlungen und Gerichtsprozessen herumgeistert.
Nicht nur die Sächsische Polizei hat diese Möglichkeit erkannt und nutzt diese vermeintliche Superkraft bei der Suche nach Tätern, Opfern oder Vermissten. Dafür erhielt die Polizeidirektion Chemnitz seitens des Sächsischen Ministerium des Innern (SMI) den Auftrag solche Wiedererkenner in ihren Reihen zu suchen und zu finden. In der im August 2023 erschienenden GdP-Gewerkschaftzeitschrift “Deutsche Polizei” führt die Leiterin der Koordinationsstelle “Wiedererkenner” der PD Chemnitz, Sandra Sekula, die Suche nach geeigneten Polizisten wie folgt aus: “Als Erstes ist zu erwähnen, dass man Super-Recognizer nicht werden kann, dabei handelt es sich um eine angeborene Begabung. […] Wer jetzt sagt, ich kann mir Gesichter auch gut merken, der kann im Internet freie Tests der Universität Greenwich finden und sich ausprobieren. Bewerben kann man sich nicht, da für den Einsatz eines Wiedererkenners ein abgeschlossenes Testverfahren und eine Zertifizierung erforderlich sind.”
Danny Graupner, Vorsitzender der Schwarz-Gelben Hilfe — Fanhilfe der SG Dynamo Dresden — kritisiert diese, in großen Teilen, intransparente Arbeit dieser speziellen Dienststellen der Polizei: “Die Forschung zu diesem Thema steht noch relativ am Anfang, es gibt bisher nur sehr wenig wissenschaftlich validierte Arbeiten über die Effizienz eines Super-Recognizers”. Doch die Kritik richtet so auch gegen den aktuellen Hype: “Laut Sächsischen Innenministerium zahlt man mit knapp 5.000 € viel Geld für diese Eignungstests der Uni Greenwich, demzufolge sollten auch entsprechend viele “Super-Recognizer” dabei herauskommen. Durch polizeiliche Anekdoten und einer sehr unkritischen Berichterstattung über dieses Phänomen entsteht aus unserer Sicht eine kriminalistische Mystifizierung des unfehlbaren Super-Polizisten, die so nicht haltbar ist”. Ergänzend dazu resümiert Graupner: “Für die angeblichen zwei Prozent der Menschheit, schießen uns derzeit zu viele neue Diensteinheiten und ‑stellen der Polizeien der jeweiligen Ländern und des Bunds aus dem Boden”.
Doch zurück zum Sachverhalt: Einer dieser zertifizierten Polizeibeamten machte sich nun auf die Suche nach einem der Übeltäter des Westsachsenderbies. Es erfolgt eine ausgiebige, aber erfolglose, Recherche in den polizeilichen Datenbanken. Laut der Ermittlungsakte verfolgte der Wiedererkenner daraufhin diverse heiße Spuren in den sozialen Medien und stieß auf eine Facebookgruppe namens “Ultras RED KAOS”. In dieser wurden und werden regelmäßig Fan-Bilder des FSV Zwickau hochgeladen, geteilt und geliked. Beim Durchstöbern der “Gefällt mir”-Klicks wurde der Polizist auf das Profilbild eines Dynamofans, welches übrigens aus dem Jahr 2014 stammte, aufmerksam. Angeblich wies dieses wesentliche Wiedererkennungsmerkmale des Gesichts auf. Es erfolgte eine Anfrage an das zuständige Einwohnermeldeamt nach einem aktuellen Bild und auch der Abgleich im Polizeilichen Auskunftssystems Sachsens (kurz: PASS) ergab einen Volltreffer: Gewalttäter Sport.
Dem Abschlussbericht der bereits zuvor erwähnten Koordinationsstellenleiterin der PD Chemnitz, Sandra Sekula, folgte daraufhin das Vier-Augen-Prinzip. Immerhin sehen Vier-Super-Augen manchmal mehr als zwei. Und auch die hinzugezogene Wiedererkennerin bestätigt den Ermittlungserfolg des vorherigen hochbegabten Polizisten.
Das restliche Verfahren ist super-schnell berichtet. Die erfolgsversprechende Ermittlungsakte, welche sich größtenteils auf die Erkenntnisse der Wiedererkenner der PD Chemnitz stützte, wurde geschlossen, an die Staatsanwaltschaft übergeben, welche scheinbar ungeprüft einen Strafbefehl über 60 Tagessätze beim Amtsgericht Aue gegen den schwarz-gelben Fußballfan erließ. Mittels seiner Fanhilfe fand dieser eine passende Strafverteidigerin, die da mal genauer ein Auge darauf warf und gegen den Strafbehl in Einspruch ging. Die folgende Gerichtsverhandlung dauert inklusive der Verlesung des Strafbefehls exakt 11 Minuten. Denn neben der Verteidigung stellten sowohl Staatsanwaltschaft und der Amtsrichter fest, dass da wohl ein Super-Fehler in der vermeintlichen Identifizierung unterlaufen ist. Es folgte der Freispruch für den vormals angeklagten Fußballfan. Sowohl die Kosten des Verfahrens als auch die Ausbildung solcher Super-Kräfte zahlt der Steuerzahler.
Schwarz-Gelbe Hilfe e.V.