Über die Ver­gabe von Stadt­ver­bo­ten — Aus­wärts­spiele in NRW, eine Farce für manch´ Dynamofan

8 Feb 2015 | Repression

Sechs­und­drei­ßig, Zwei­und­vier­zig, Drei­ßig! Dies sind die letz­ten nüch­ter­nen Zah­len, der mit einem Ver­bot beleg­ten Dyna­mo­fans bei Aus­wärts­spie­len im Bun­des­land Nordrhein-Westfalen. Bie­le­feld, Müns­ter und Duis­burg! Es wer­den in die­ser Sai­son wei­tere Zah­len und Städte fol­gen. Für die Öffent­lich­keit sind es die „polizeilich-bekannten Hoo­li­gans”, für die betrof­fe­nen Fans ist es oft­mals depri­mie­rend und für uns mitt­ler­weile lei­der zur all­täg­li­chen Rou­tine bei Spie­len in NRW geworden.

Was sind eigent­lich diese Stadtverbote?

Das Betretungs- und Auf­ent­halts­ver­bot, in Fuß­ball­krei­sen auch lie­be­voll Stadt­ver­bot genannt, ist eine durch Sicher­heits­be­hör­den aus­ge­spro­chene Maß­nahme des Ord­nungs­rech­tes und ori­en­tiert sich am Lan­des­recht des jewei­li­gen Bun­des­lan­des. In den meis­ten Bun­des­län­dern darf die Poli­zei im Vor­aus Auf­ent­halts­ver­bote aus­spre­chen. Eine Aus­nahme bil­det dabei der Frei­staat Bay­ern, bei dem nur die Kom­mu­nen ein sol­ches Ver­bot ver­hän­gen dür­fen. Ziel sol­cher Grund­rechts­ein­griffe ist es, poten­zi­el­len Stö­rern bereits im Vor­feld die Mög­lich­keit zu ent­zie­hen, an zuvor fest­ge­leg­ten Tagen in bestimmte Städte zu rei­sen. Dafür wer­den bspw. die Anhän­ger eines Fuß­ball­ver­eins in ihrer im Grund­ge­setz ver­an­ker­ten Bewe­gungs­frei­heit ein­ge­schränkt. Ver­stöße gegen ein oft­mals kurz vor einem Spiel aus­ge­spro­che­nes Ver­bot wer­den in der Regel mit einem Zwangs­geld von 500€ belegt und kön­nen sogar bis zu einer Ersatz­zwangs­haft führen.

Wann wer­den Stadt­ver­bote vergeben?

Klare und ein­heit­li­che Richt­li­nien gibt es bei der Ver­gabe nicht. Gegen­über dem Transparent-Magazin äußerte sich das Lan­des­amt für Zen­trale Poli­zei­li­che Dienste Nordrhein-Westfalen (LZPD) im März 2014 wie folgt: „Je risi­ko­be­haf­te­ter eine Begeg­nung nach der ört­li­chen Lage­be­ur­tei­lung ist […], desto höher ist die Wahr­schein­lich­keit, dass für die aktu­elle Begeg­nung prä­ven­tive poli­zei­li­che Maß­nah­men aus­ge­spro­chen wer­den.“ Eine Ver­ga­be­pra­xis, die wir als Dyna­mo­an­hän­ger nur bedingt tei­len kön­nen. Wer die Kri­te­rien für diese Risi­ken bei Spie­len der SGD fest­legt, bleibt dabei min­des­tens ebenso häu­fig im Unkla­ren, wie die dahin­ter lie­gen­den poli­zei­li­chen Erkennt­nisse. Es bleibt zu befürch­ten, dass nicht zuletzt die Poli­zei selbst ange­sichts immer wie­der auf­kom­men­der Per­so­nal­de­bat­ten keine Gele­gen­heit aus­lässt, um eine mög­lichst große Gefahr für die öffent­li­che Sicher­heit und Ord­nung her­auf­zu­be­schwö­ren. Etli­che Bei­spiele aus der Ver­gan­gen­heit zei­gen jedoch, wie will­kür­lich und plan­los die Poli­zei als Akteur im öffent­li­chen Raum bzw. bei Fuß­ball­spie­len agie­ren kann. Eine Kon­trolle oder Nach­be­rei­tung der oft bewusst zuge­spitz­ten Lage­ana­ly­sen durch externe Kon­troll­gre­mien fin­det so gut wie nie statt.

Wie wird ein Fuß­ball­fan zur Gefahr für eine ganze Stadt?

Nach Aus­sage der LZPD wird über die Ver­gabe der Stadt­ver­bote unter Betrach­tung der „Gewich­tung und Bewer­tung der über einen Fuß­ball­stö­rer vor­lie­gen­den Erkennt­nisse aus der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit“ durch die ört­li­chen Poli­zei­be­hör­den ent­schie­den. Dass diese Beur­tei­lung aber an keine rich­ter­li­chen Urteile oder straf­recht­lich rele­van­ten Ver­hal­tens­wei­sen gebun­den sind, zeigt die Pra­xis. Die „Arbeits­ge­mein­schaft Fan­an­wälte“ stellte jüngst fest, dass oft­mals schon das Auf­tau­chen in der umstrit­te­nen ZIS-Datenbank „Gewalt­tä­ter Sport“ aus­reicht, um mit sol­chen Maß­nah­men kon­fron­tiert zu wer­den. Viele der Begrün­dun­gen glei­chen sich von Fall zu Fall. In den meis­ten uns vor­lie­gen­den Schrei­ben wer­den Straf­ver­fah­ren zitiert, die längst ein­ge­stellt wur­den oder mit einem Frei­spruch ende­ten. In Ost­west­fa­len scheint inzwi­schen sogar das „Zei­gen eines Stin­ke­fin­gers“ aus­zu­rei­chen, um den Fan an einer Fahrt nach Bie­le­feld zu hin­dern. Nicht zuletzt ist eine rich­ter­li­che Über­prü­fung der zuvor erlas­se­nen Ein­griffe in demo­kra­ti­sche Grund­rechte für die Betrof­fe­nen zumeist lang­wie­rig und zudem mit hohen Kos­ten verbunden.
Dass auch der juris­ti­sche Weg nicht immer zum Erfolg führt, bestä­tigte im August 2014 sogar das Ver­wal­tungs­ge­richt Neu­stadt a.d. Wein­straße (Rheinland-Pfalz) in sei­nem Urteil. Darin wurde die Klage eines Ultras des 1.FC Kai­sers­lau­tern gegen ein Ver­bot zurück­ge­wie­sen damit wei­te­ren Stadt­ver­bo­ten, die auf einen Ein­trag in poli­zei­in­ter­nen Daten­ban­ken basie­ren, der Weg geebnet.

Was tun bei einem Stadtverbot?

In der Regel wird dem Betrof­fe­nen die Mög­lich­keit gege­ben, sich wäh­rend eines Zeit­raums schrift­lich zu den Vor­wür­fen bzw. der geplan­ten Maß­nahme zu äußern. Was durch die Betrof­fe­nen zunächst als Chance ver­stan­den wer­den könnte, ist in Wirk­lich­keit über­haupt keine. Ein aktu­el­les Bei­spiel aus Müns­ter zeigt die gän­gige Pra­xis: Nach­dem ein Fan sein Anhö­rungs­schrei­ben frist­ge­mäß in Rich­tung Poli­zei­dienst­stelle Müns­ter abge­schickt hatte, wurde das Urteil über ihn schon längst gefällt und die Bestä­ti­gung des Stadt­ver­bo­tes bereits vor Ende der Anhö­rungs­frist poli­zei­in­tern ausgesprochen.

sgh3
sgh1

Damit wurde der Fan nicht nur um sein Anhö­rungs­recht betro­gen, das Anhö­rungs­ver­fah­ren wurde durch einen Satz zu einer Farce.

sgh2

Dass die psy­chi­sche Belas­tung der Betrof­fe­nen nach mehr­fa­chem Ein­tref­fen sol­cher Post enorm hoch ist und einer Resi­gna­tion gleich­kommt, ist für viele Unbe­tei­ligte und Außen­ste­hende nicht nach­voll­zieh­bar. Nichts­des­to­trotz sollte man den Kopf nicht in den Sand ste­cken. Auch hier ist das letzte Urteil noch nicht gesprochen!

Daher appel­lie­ren wir an die Betrof­fe­nen, sich mit uns in Ver­bin­dung zu set­zen, um gemein­sam dage­gen vor­zu­ge­hen — Soli­da­ri­tät ist eine Waffe!

Mehr Artikel

Straf­be­fehle gegen Sozi­al­ar­bei­ter in Fan­pro­jek­ten sind unhalt­bar – Ermitt­lun­gen gegen Fuß­ball­fans neh­men gro­teske Züge
Straf­be­fehle gegen Sozi­al­ar­bei­ter in Fan­pro­jek­ten sind unhalt­bar – Ermitt­lun­gen gegen Fuß­ball­fans neh­men gro­teske Züge

Straf­be­fehle gegen Sozi­al­ar­bei­ter in Fan­pro­jek­ten sind unhalt­bar – Ermitt­lun­gen gegen Fuß­ball­fans neh­men gro­teske Züge

Das Bündnis für Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit hat öffentlich gemacht, dass Sozialarbeiter im Fanprojekt Karlsruhe mit Strafbefehlen überhäuft wurden, weil sie sich an ihre Schweigepflicht gehalten und nicht gegen Fußballfans ausgesagt haben. Die...