Sechsunddreißig, Zweiundvierzig, Dreißig! Dies sind die letzten nüchternen Zahlen, der mit einem Verbot belegten Dynamofans bei Auswärtsspielen im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Bielefeld, Münster und Duisburg! Es werden in dieser Saison weitere Zahlen und Städte folgen. Für die Öffentlichkeit sind es die „polizeilich-bekannten Hooligans”, für die betroffenen Fans ist es oftmals deprimierend und für uns mittlerweile leider zur alltäglichen Routine bei Spielen in NRW geworden.
Was sind eigentlich diese Stadtverbote?
Das Betretungs- und Aufenthaltsverbot, in Fußballkreisen auch liebevoll Stadtverbot genannt, ist eine durch Sicherheitsbehörden ausgesprochene Maßnahme des Ordnungsrechtes und orientiert sich am Landesrecht des jeweiligen Bundeslandes. In den meisten Bundesländern darf die Polizei im Voraus Aufenthaltsverbote aussprechen. Eine Ausnahme bildet dabei der Freistaat Bayern, bei dem nur die Kommunen ein solches Verbot verhängen dürfen. Ziel solcher Grundrechtseingriffe ist es, potenziellen Störern bereits im Vorfeld die Möglichkeit zu entziehen, an zuvor festgelegten Tagen in bestimmte Städte zu reisen. Dafür werden bspw. die Anhänger eines Fußballvereins in ihrer im Grundgesetz verankerten Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Verstöße gegen ein oftmals kurz vor einem Spiel ausgesprochenes Verbot werden in der Regel mit einem Zwangsgeld von 500€ belegt und können sogar bis zu einer Ersatzzwangshaft führen.
Wann werden Stadtverbote vergeben?
Klare und einheitliche Richtlinien gibt es bei der Vergabe nicht. Gegenüber dem Transparent-Magazin äußerte sich das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen (LZPD) im März 2014 wie folgt: „Je risikobehafteter eine Begegnung nach der örtlichen Lagebeurteilung ist […], desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass für die aktuelle Begegnung präventive polizeiliche Maßnahmen ausgesprochen werden.“ Eine Vergabepraxis, die wir als Dynamoanhänger nur bedingt teilen können. Wer die Kriterien für diese Risiken bei Spielen der SGD festlegt, bleibt dabei mindestens ebenso häufig im Unklaren, wie die dahinter liegenden polizeilichen Erkenntnisse. Es bleibt zu befürchten, dass nicht zuletzt die Polizei selbst angesichts immer wieder aufkommender Personaldebatten keine Gelegenheit auslässt, um eine möglichst große Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung heraufzubeschwören. Etliche Beispiele aus der Vergangenheit zeigen jedoch, wie willkürlich und planlos die Polizei als Akteur im öffentlichen Raum bzw. bei Fußballspielen agieren kann. Eine Kontrolle oder Nachbereitung der oft bewusst zugespitzten Lageanalysen durch externe Kontrollgremien findet so gut wie nie statt.
Wie wird ein Fußballfan zur Gefahr für eine ganze Stadt?
Nach Aussage der LZPD wird über die Vergabe der Stadtverbote unter Betrachtung der „Gewichtung und Bewertung der über einen Fußballstörer vorliegenden Erkenntnisse aus der jüngeren Vergangenheit“ durch die örtlichen Polizeibehörden entschieden. Dass diese Beurteilung aber an keine richterlichen Urteile oder strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen gebunden sind, zeigt die Praxis. Die „Arbeitsgemeinschaft Fananwälte“ stellte jüngst fest, dass oftmals schon das Auftauchen in der umstrittenen ZIS-Datenbank „Gewalttäter Sport“ ausreicht, um mit solchen Maßnahmen konfrontiert zu werden. Viele der Begründungen gleichen sich von Fall zu Fall. In den meisten uns vorliegenden Schreiben werden Strafverfahren zitiert, die längst eingestellt wurden oder mit einem Freispruch endeten. In Ostwestfalen scheint inzwischen sogar das „Zeigen eines Stinkefingers“ auszureichen, um den Fan an einer Fahrt nach Bielefeld zu hindern. Nicht zuletzt ist eine richterliche Überprüfung der zuvor erlassenen Eingriffe in demokratische Grundrechte für die Betroffenen zumeist langwierig und zudem mit hohen Kosten verbunden.
Dass auch der juristische Weg nicht immer zum Erfolg führt, bestätigte im August 2014 sogar das Verwaltungsgericht Neustadt a.d. Weinstraße (Rheinland-Pfalz) in seinem Urteil. Darin wurde die Klage eines Ultras des 1.FC Kaiserslautern gegen ein Verbot zurückgewiesen damit weiteren Stadtverboten, die auf einen Eintrag in polizeiinternen Datenbanken basieren, der Weg geebnet.
Was tun bei einem Stadtverbot?
In der Regel wird dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben, sich während eines Zeitraums schriftlich zu den Vorwürfen bzw. der geplanten Maßnahme zu äußern. Was durch die Betroffenen zunächst als Chance verstanden werden könnte, ist in Wirklichkeit überhaupt keine. Ein aktuelles Beispiel aus Münster zeigt die gängige Praxis: Nachdem ein Fan sein Anhörungsschreiben fristgemäß in Richtung Polizeidienststelle Münster abgeschickt hatte, wurde das Urteil über ihn schon längst gefällt und die Bestätigung des Stadtverbotes bereits vor Ende der Anhörungsfrist polizeiintern ausgesprochen.
Damit wurde der Fan nicht nur um sein Anhörungsrecht betrogen, das Anhörungsverfahren wurde durch einen Satz zu einer Farce.
Dass die psychische Belastung der Betroffenen nach mehrfachem Eintreffen solcher Post enorm hoch ist und einer Resignation gleichkommt, ist für viele Unbeteiligte und Außenstehende nicht nachvollziehbar. Nichtsdestotrotz sollte man den Kopf nicht in den Sand stecken. Auch hier ist das letzte Urteil noch nicht gesprochen!
Daher appellieren wir an die Betroffenen, sich mit uns in Verbindung zu setzen, um gemeinsam dagegen vorzugehen — Solidarität ist eine Waffe!