Über 4.000 km bis zum Freispruch

4 Jun 2020 | Abgeschlossene Verfahren

Das Amts­ge­richt Frei­burg im Breis­gau sah am 14. Mai 2020 den Vor­wurf des Wurfs einer ben­ga­li­schen Fackel in Rich­tung einer Poli­zei­kette durch einen Dyna­mo­fan als nicht erwie­sen an. Nach ins­ge­samt drei Ver­hand­lungs­ta­gen, die sich durch ver­schie­denste Unter­bre­chun­gen über fast 10 Monate zogen, wurde der Fuß­ball­an­hän­ger somit von den Ankla­ge­punk­ten des tät­li­chen Angriffs auf Voll­stre­ckungs­be­amte in Tat­ein­heit mit ver­such­ter gefähr­li­cher Kör­per­ver­let­zung freigesprochen.

Am 25. Okto­ber 2017 trat die Sport­ge­mein­schaft Dynamo Dres­den in der 2. Runde des DFB-Pokals beim Sport­club aus Frei­burg an. Über diese Par­tie gibt es neben dem sport­li­chen Aus­schei­den der Dresd­ner Dyna­mos auch aus fan­tech­ni­scher Sicht Eini­ges, vor­al­lem Nega­ti­ves, zu berich­ten. Unzäh­lige Kon­trol­len, Per­so­na­li­en­fest­stel­lun­gen, erken­nungs­dienst­li­che Behand­lun­gen vor und nach dem Spiel, Inge­wahr­sahm­nah­men und sogar eine ca. 120 Per­so­nen starke Fan­gruppe, wel­che von der Auto­bahn direkt auf ein abge­le­ge­nes Gelände durch die Poli­zei geführt wur­den und dort bis Spie­lende ver­schie­denste Maß­nah­men über sich erge­hen las­sen musste.

Aus­gangs­punkt die­ses Ver­fah­rens ist auch hier die Kon­trolle und die erken­nungs­dienst­li­che Behand­lung einer Gruppe von Dyna­mo­fans auf dem Weg zum Drei­sam­sta­dion. Bemer­kens­wert ist, dass diese bereits schon das erste Mal auf der Auto­bahn durch die Poli­zei ange­hal­ten und durch­sucht wur­den. Eine zweite poli­zei­li­che Kon­trolle durch­lie­fen die Fuß­ball­fans direkt am Park­platz des Autos und wenig spä­ter folgte Kon­trolle Num­mer drei mit einer anschlie­ßen­den erken­nungs­dienst­li­chen Behand­lung, sprich Video­gra­fie­rung, der Fans. Diese letzte Maß­nahme sollte für den Dyna­mo­fan Karl Kater* Aus­gangs­punkt eines lang­wie­ri­gen Ver­fah­rens inklu­sive einem andert­halb­jäh­ri­gen bun­des­wei­ten Sta­di­on­ver­bots sein. Dass bei allen drei Kon­trol­len und auch der spä­te­ren Durch­su­chung durch den Ord­nungs­dienst weder bei ihm, noch bei sei­nen Kum­pels ein pyro­tech­ni­scher Gegen­stand gefun­den wurde, inter­es­siert im spä­te­ren Ver­fah­ren die ermit­teln­den Poli­zis­ten wenig.

Das Pokal­spiel der SGD geht 3:1 ver­lo­ren — die Stim­mung im Gäs­te­block, durch das aggres­sive Auf­tre­ten der behelm­ten Poli­zei und den Unmen­gen an Kon­trol­len im Vor­feld, ange­spannt. Zu allem Über­fluss erteilt die Poli­zei eine halb­stün­dige Block­sperre — gegen 23 Uhr kommt es im Bereich des Aus­gangs zu Unru­hen und Sach­be­schä­di­gun­gen. Ein ben­ga­li­sches Feuer wird ent­zün­det und wird in Rich­tung der Poli­zei­kette gewor­fen. Es trifft nicht und nie­mand wird ver­letzt. Der Täter ver­schwin­det im Dickicht der Mas­sen — Karl Kater steht in die­sem Moment noch auf den Tra­ver­sen des Drei­sam­sta­di­ons und schreibt sei­ner Freun­din, dass es hier wohl noch etwas dauert.

Die Ermitt­lun­gen begin­nen, Videos und Bil­der wer­den abge­gli­chen und kör­per­li­che Merk­male ver­gli­chen, anschei­nend wer­den die Ermitt­ler fün­dig, wonach sie suchen. Karl Kater wird im Dezem­ber 2017 als Beschul­dig­ter von der Poli­zei vor­ge­la­den. Er geht nicht hin, macht somit von sei­nem Recht zur Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rung Gebrauch. Die Daten des Beschul­dig­ten wer­den an den SC Frei­burg wei­ter­ge­reicht, wel­che ein Sta­di­on­ver­bot bis Mitte 2019 aus­spre­chen — die Bitte, das Sta­di­on­ver­bot auf­zu­he­ben oder auf Bewäh­rung aus­zu­spre­chen, bleibt erfolglos.

Anfang Mai 2019 erhält er einen Straf­be­fehl über 90 Tages­sätze a 20,00€, d.h. er soll 1.800,00€ zah­len. Er wen­det sich als Mit­glied an die Schwarz-Gelbe Hilfe — anwalt­li­che Unter­stüt­zung wird her­an­ge­zo­gen, Ein­spruch eingelegt.

Der erste Ver­hand­lungs­tag beginnt am 1. August 2019. Die Ver­tei­di­ge­rin Karl Katers bestrei­tet die Vor­würfe gegen ihren Man­da­ten. Sie wen­det ein, dass weder er das Ben­galo gewor­fen hat, noch dass er dort in der Nähe des Wer­fers gestan­den hätte oder gar dem Wer­fer in irgend­ei­ner Form ähn­lich sehe.
Die WhatsApp-Nachrichten zum Tat­zeit­punkt wer­den als Gegen­be­weis vor­ge­legt und ver­le­sen. Ein Beweis­an­trag auf die Her­aus­gabe der Video­auf­zeich­nun­gen des Gäs­te­be­reichs schei­tert, da diese schon gelöscht wären. Die Poli­zei hatte diese wäh­rend ihrer Ermitt­lun­gen auch gar nicht erst ange­for­dert und somit eine ein­sei­tige Beweis­auf­nahme und ‑ana­lyse getätigt.

Die gela­de­nen Poli­zis­ten der Beweis- und Fest­nah­me­ein­heit (BFE) aus Bruch­saal konn­ten keine Aus­sa­gen zum Aus­se­hen des Wer­fers machen, auch waren sie nicht an der Video­ana­lyse betei­ligt. Die Ver­hand­lung wird unterbrochen.

Es folgt der zweite Ver­hand­lungs­tag am Amts­ge­richt Frei­burg. Es ist der 24.10.2019. Die­ses Mal wird eine Beam­tin gela­den, wel­che die Aus­wer­tung des Videos vor­nahm. Diese war sich nun zu ein­hun­dert­pro­zent sicher Karl Kater als den ver­meint­li­chen Übel­tä­ter aus­ge­macht zu haben. Sie hätte durch ihre Berufs­tä­tig­keit soviel Erfah­rung gesam­melt und auch in 15 Jah­ren noch nie einen Täter falsch identifiziert.

Erneut wer­den die Bil­der am Pult der Rich­te­rin ver­gli­chen. Auf Nach­frage der Ver­tei­di­gung, wie groß sie denn den Täter schätze, wie­gelte die Zeu­gin ab. Video­bil­der wür­den manch­mal die Rea­li­tät ver­zer­ren und sie möchte dazu keine Anga­ben machen. Auf den Bil­dern hätte der Täter etwa männ­li­che Durch­schnitts­größe von ca. 1,80m — Karl Kater aller­dings ist viel kleiner.

Doch die Beam­tin blieb bei ihrer Iden­ti­fi­zie­rung — die Rich­te­rin teilte diese Sicher­heit nicht. Auch die Ver­tei­di­ge­rin des Beschul­dig­ten, Linda Röt­tig, wird nach dem Frei­spruch gegen­über der Badi­schen Zei­tung sagen: “Mein Man­dant war damals 21 — und der Mann auf dem Bild sieht eher aus wie 40.”

Das Gericht gibt schließ­lich ein anthro­po­lo­gi­sches Gut­ach­ten in Auf­trag. Das Ergeb­nis wird nun am drit­ten Ver­hand­lungs­tag, am 14. Mai 2020, also über ein Jahr nach Erhalt des Straf­be­fehls, verlesen.

Das Ergeb­nis: Ob der Ange­klagte der Mann auf den Video­bil­dern ist, könne man auf­grund der Bil­der über­haupt gar nicht sagen. Unter die­sen Umstän­den musste auch die Staats­an­walt­schaft ein­ge­ste­hen, dass man den Beschul­dig­ten Karl Kater nur frei­spre­chen könne.

Die Ver­fah­rens­kos­ten, inklu­sive Anfahrts- , Anwalts- und Gut­ach­ter­kos­ten, muss nun die Staats­kasse tra­gen. Eine Wie­der­gut­ma­chung für die Zeit außer­halb des Sta­di­ons wird Karl Kater wohl nicht erhalten.

Eure Schwarz-Gelbe Hilfe

*Name durch die SGH geändert

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