Ver­fas­sungs­be­schwerde gegen Säch­si­sches Polizeigesetz

23 Dez 2020 | Allgemein

Das hoch­um­strit­tene und nach unse­rer Mei­nung völ­lig über­zo­gene Säch­si­sche Poli­zei­voll­zugs­dienst­ge­setz (SächsPVDG) trat mit dem Jah­res­wech­sel 2019/2020 in Kraft. Im Vor­feld der par­la­men­ta­ri­schen Abstim­mung infor­mier­ten wir, die Schwarz-Gelbe Hilfe, Fuß­ball­fans der SG Dynamo Dres­den mit­tels Info-Flyer und mobi­li­sier­ten zu einer kraft­vol­len Demons­tra­tion gegen die Ein­schrän­kung von Bürger- und Freiheitsrechten.

Die Gesell­schaft für Frei­heits­rechte e.V. (GFF) hat nun gegen die neuen Befug­nisse der säch­si­schen Poli­zei Ver­fas­sungs­be­schwerde beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ein­ge­legt. Die Pres­se­mit­tei­lung der GFF möch­ten wir Euch nicht vorenthalten:

Pres­se­mit­tei­lung: Ver­fas­sungs­be­schwerde gegen erwei­terte Über­wa­chungs­be­fug­nisse und intel­li­gente Videoüberwachung

Berlin/Dresden, 28.12.2020 – Die Säch­si­sche Poli­zei ver­fügt seit dem Inkraft­tre­ten des novel­lier­ten Säch­si­schen Poli­zei­voll­zugs­dienst­ge­set­zes (SächPVDG) vor einem Jahr über noch schär­fere Über­wa­chungs­in­stru­mente als zuvor – trotz zahl­rei­cher Poli­zei­skan­dale in der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit. Die Gesell­schaft für Frei­heits­rechte e.V. (GFF) hat daher Ver­fas­sungs­be­schwerde beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt erho­ben. „Die neuen Befug­nisse ermög­li­chen Über­wa­chungs­maß­nah­men weit im Vor­feld einer kon­kre­ten Straf­tat. Dadurch kann prak­tisch jede Per­son Opfer tie­fer Grund­rechts­ein­griffe wer­den“, erklärt David Wer­der­mann, Jurist und Ver­fah­rens­ko­or­di­na­tor der GFF.

Vor­ver­la­gerte Über­wa­chung ver­letzt Grund­rechte und Rechtsstaatsprinzip

Kon­kret rich­tet sich die Ver­fas­sungs­be­schwerde unter ande­rem gegen län­ger­fris­tige Obser­va­tio­nen durch Polizeibeamt*innen, den Ein­satz ver­deck­ter Ermittler*innen und von Ver­trau­ens­per­so­nen, Abhör- und Ortungs­maß­nah­men außer­halb der Woh­nung sowie Daten­er­he­bun­gen mit Bezug zu Tele­kom­mu­ni­ka­tion und Inter­net­nut­zung. All diese Maß­nah­men sind nach dem neuen Poli­zei­ge­setz schon weit im Vor­feld einer kon­kre­ten Gefahr zuläs­sig. Schon wenn die Poli­zei ledig­lich annimmt, es könnte sich in der Zukunft eine gefähr­li­che Situa­tion ent­wi­ckeln – was sich prak­tisch immer begrün­den lässt –, kann sie Per­so­nen auf viel­fäl­tige Weise über­wa­chen. „Für meine Arbeit bin ich unter ande­rem auf Kon­takte in isla­mis­ti­sche und kri­mi­nelle Milieus ange­wie­sen“, so Arndt Gin­zel, inves­ti­ga­ti­ver Jour­na­list und einer der Kläger*innen. „Diese Kon­takte kön­nen künf­tig als Anhalts­punkt her­an­ge­zo­gen wer­den, um auch mich zu überwachen“.

Intel­li­gente Video­über­wa­chung ver­letzt Recht auf infor­ma­tio­nelle Selbstbestimmung

Ein deutsch­land­wei­tes Novum stellt die Befug­nis zur intel­li­gen­ten Video­über­wa­chung dar. Die Poli­zei darf danach nicht nur Video­auf­zeich­nun­gen anfer­ti­gen, son­dern diese auch auto­ma­ti­siert mit poli­zei­li­chen Daten abglei­chen. Dies schließt laut der Geset­zes­be­grün­dung den Abgleich von beson­ders sen­si­blen bio­me­tri­schen Daten (Gesichts­er­ken­nung) ein. Dadurch wird das Grund­recht auf infor­ma­tio­nelle Selbst­be­stim­mung ver­letzt, weil die Maß­nahme ohne kon­kre­ten Anlass zuläs­sig ist. Theo­re­tisch kann die intel­li­gente Video­über­wa­chung im gesam­ten Grenz­ge­biet bis zu einer Tiefe von 30 Kilo­me­tern durch­ge­führt werde. Das umfasst etwa die Hälfte der Flä­che des Frei­staats. Für die Klä­ge­rin Anja Mer­kel, die im Rah­men der mobi­len Jugend­ar­beit im Grenz­ge­biet arbei­tet, bedeu­tet die intel­li­gente Video­über­wa­chung eine emp­find­li­che Ein­schrän­kung ihrer Frei­heit: „Ich kann mich nicht mehr unbe­fan­gen bewe­gen, wenn ich stän­dig damit rech­nen muss, dass die Poli­zei meine Gesichts­züge erfasst und abgleicht“, so die Sozialarbeiterin.
Die intel­li­gente Video­über­wa­chung ist äußerst umstrit­ten. Sie ermög­licht eine bis­her unbe­kannte Über­wa­chung des öffent­li­chen Raums und begüns­tigt Dis­kri­mi­nie­rung. Ein Modell­pro­jekt am Ber­li­ner Bahn­hof Süd­kreuz brachte 2018 zudem eine erheb­li­che Feh­ler­an­fäl­lig­keit zutage. Zuletzt waren Pläne zur Ein­füh­rung intel­li­gen­ter Video­über­wa­chung im Bun­des­po­li­zei­ge­setz auf­ge­ge­ben worden.

Hand­gra­na­ten­ein­satz ver­stößt gegen Men­schen­würde und Tren­nung von Mili­tär und Polizei

Schließ­lich rich­tet sich die Ver­fas­sungs­be­schwerde gegen den Ein­satz von Kriegs­waf­fen wie Hand­gra­na­ten durch die Poli­zei. Das ver­letzt nicht nur die ver­fas­sungs­recht­lich gebo­tene Tren­nung von Mili­tär und Poli­zei, son­dern auch die Men­schen­würde. Denn nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts darf der Staat nicht zwi­schen den Leben Unschul­di­ger abwä­gen. Das macht er jedoch, wenn er beim Ein­satz von Hand­gra­na­ten den Tod Unschul­di­ger in Kauf nimmt.

Die Ver­fas­sungs­be­schwerde wird von der GFF koor­di­niert. Zu den Kläger*innen zäh­len Jour­na­lis­ten, Rechtsanwält*innen, ein Fuß­ball­fan und eine Sozi­al­ar­bei­te­rin. Sie wer­den ver­tre­ten durch Prof. Dr. Mat­thias Bäcker (Uni­ver­si­tät Mainz).

Der GFF-Verfahrenskoordinator David Wer­der­mann und wei­tere Ver­fah­rens­be­tei­ligte ste­hen für Gesprä­che zur Verfügung.

Bei Rück­fra­gen wen­den Sie sich an:
Janina Zil­le­kens, presse@freiheitsrechte.org,
Tel. 030/549 08 10 55 oder 0175/610 2896

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