Das neue Gesetz
Das derzeit gültige Sächsische Polizeigesetz (SächsPolG) soll durch zwei neue Gesetze abgelöst werden:
Das Sächsische Polizeivollzugsdienstgesetz (SächsPVDG) gilt für die Landespolizei und soll der Gefahrenabwehr (Verhütung von Straftaten) dienen.
Das Sächsische Polizeibehördengesetz (SächsPBG) gilt für die Gemeinden und Landkreise und hat die Gefahrenvorsorge und die Gefahrenabwehr (Verhütung von Ordnungswidrigkeiten) zum Schwerpunkt.
Ordnungsamt als Polizeibehörde
Die Ordnungsämter werden zu sogenannten Ortspolizeibehörden und bekommen so neue, weitreichendere Kompetenzen. So kann gemäß § 9 SächsPBG das Ministerium des Innern eine Verordnung erlassen, die die Mittel des unmittelbaren Zwangs regelt. Dazu zählen laut Gesetz: Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde und ‑pferde, Reizstoffe und Sprengmittel. Als einzige Waffe ist der Schlagstock zugelassen. Ebenfalls dürfen die Beamten der Ortspolizeibehörde nun Wohnungen betreten und durchsuchen und den öffentlichen Raum per Video überwachen.
Begriff des „Gefährders“
Der Begriff des Gefährders ist nicht gesetzlich definiert. Es handelt sich dabei um Personen, die noch nicht den Bereich der Strafbarkeit eines Verhaltens erreicht haben, aber dennoch eine nicht unerhebliche Gefahr aufgrund ihres „kriminellen Potentials“ darstellen. Das heißt, dass keine Straftat vorliegen muss, es reicht die bloße Vermutung, dass es passieren könnte.
Die Ermittlungen nach dem Fanmarsch in Karlsruhe und auch die Provokation auf der Pressekonferenz seitens der Kölner Polizei (Auswärtsspiel vom 10.11.2018) zeigen, dass bereits Fanmärsche ausreichen können, um gegen Fans zu ermitteln. Der Besuch eines Fußballspiels wird so unter Generalverdacht gestellt und Fans werden zu potentiellen Gefährdern. Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Rahmen des SächsPVDG Fußballfans noch stärker in den Fokus der Polizeibehörden geraten werden.
Kontrollbereiche
Die Polizei kann gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 5 und 6 SächsPVDG Kontrollbereiche einrichten. Kontrollbereiche dürfen eingerichtet werden, wenn in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung oder gemäß § 28 Sächsisches Versammlungsgesetz (SächsVersG) verhindert werden sollen.
In diesen Kontrollbereichen kann die Polizei die Identität von Personen feststellen, ohne dass es einer Begründung bedarf. Zur Feststellung der Identität darf die Polizei dabei nicht nur nach den Personalien fragen, sondern auch mitgeführte Sachen durchsuchen, den Betroffenen festhalten und zur Dienststelle bringen oder auch erkennungsdienstlich behandeln. Grundsätzlich müssen diese eingerichteten Kontrollbereiche bekannt gegeben werden. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Kontrollbereich nicht länger als 48 Stunden besteht – dann kann dieser auch heimlich eingerichtet werden.
Der Bereich eines Stadions könnte so in Zukunft zu einem Kontrollbereich werden. Dazu genügt bereits ein möglicher Verstoß gegen § 28 des SächsVersG, also das Mitführen von vermeintlichen Vermummungsgegenständen. Identitätsfeststellungen, Durchsuchungen und ED-Behandlungen können so ohne Begründung an allen Fans durchgeführt werden. Der Stadionbesuch wird zum Spießrutenlauf.
Alkoholverbotszonen
Gemäß § 33 Abs. 2 SächsPBG hat die Polizei die Ermächtigung zum Erlass sogenannter örtlich und zeitlich begrenzter Alkoholkonsumverbote. Dies war bisher zwar auch möglich, jedoch nur, wenn es tatsächlich zu alkoholbedingten Straftaten gekommen ist. Künftig können Alkoholverbote bereits ausgesprochen werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass alkoholbedingt eine Ordnungswidrigkeit begangen wird.
Falls es also bei Ackis mal wieder etwas länger geht und sich Anwohner über die nächtliche Ruhestörung beschweren, dann wundert Euch nicht, dass das Bier auf dem Weg zum Stadion verboten wird.
Aufenthaltsgebote/Hausarrest & elektronische Fußfessel
Zum Zweck der Verhütung von Straftaten ‑also ohne konkreten Verdacht- kann die Polizei künftig gemäß § 21 Abs. 2 SächsPVDG einer Person verbieten, für bis zu drei Monate ihren Wohn- oder Aufenthaltsort zu verlassen. Dazu muss die Polizei einen Antrag bei Gericht stellen.
Um die Aufenthaltsanordnung (Aufenthaltsgebot) durchzusetzen und zu kontrollieren kann die Polizei eine elektronische Aufenthaltsüberwachung gemäß § 61 Abs. 2 SächsPVDG anordnen. Das bedeutet, dass ein technisches Mittel, also eine elektronische Fußfessel, eingesetzt werden kann, um den Aufenthaltsort einer Person elektronisch zu überwachen.
Schon heute stellen Betretungsverbote beim Fußball Teile der Fanszene vor große Herausforderungen. Können heute Behörden den Fans die Anreise an einen Spielort verbieten, dürften in Zukunft betroffene Fans nicht einmal mehr das Haus verlassen. Mit elektronischen Fußfesseln wäre die komplette Überwachung perfekt.
Kontaktverbot
Ohne richterlichen Beschluss kann die Polizei künftig gemäß § 21 Abs. 3 SächsPVDG den Kontakt zu bestimmten Personen verbieten. Dafür gilt zunächst eine Höchstfrist von drei Monaten. Gemäß § 21 Abs. 7 SächsPVDG kann das Kontaktverbot allerdings immer wieder um drei Monate verlängert werden solange die Voraussetzungen dafür gegeben sind.
Durften in der Vergangenheit sogenannte Stadion- und Stadtverbotler wenigstens noch gemeinsam mit ihren Freunden zu Spielen ihrer Mannschaft fahren, hat die Polizei mit diesem Mittel nun das Recht, den sozialen Kontakt zu unterbinden und betroffene Personen menschlich komplett zu isolieren.
Kontakt- und Begleitperson
Neu ist auch der Begriff der Kontakt- und Begleitperson im neuen Sächsischen Polizeigesetz. Was eine Kontakt- und Begleitperson ist, wird in § 4 Nr. 8 SächsPVDG wie folgt definiert:
Eine Person, die mit einer anderen Person, bei der Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, nicht nur flüchtig oder in zufälligem Kontakt steht und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass
- sie von Vorbereitung einer solchen Straftat Kenntnis hat,
- sie aus der Tat Vorteile zieht oder
- die andere Person sich ihrer zur Begehung der Straftat bedienen könnte.
Relevant wird die Kontakt- und Begleitperson dann in § 60 Abs. 2 Nr. 3 SächsPVDG für die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung und zur gezielten Kontrolle und in § 63 Abs. 2 Nr. 4 SächsPVDG für die längerfristige Observation. Es dürfen also nicht nur Daten über Personen, bei denen eine Straftat zu erwarten ist, erhoben werden, sondern auch über deren Kontakt- und Begleitpersonen. Als Mitfahrer im Auto zu einem Auswärtsspiel, bei dem ein Fan ‑natürlich ohne seine Kenntnis- zur polizeilichen Beobachtung ausgeschrieben ist, bist auch Du eine relevante Kontakt- und Begleitperson für die Polizei. Damit ist der Überwachung von Dir faktisch keine Grenzen mehr gesetzt und die Polizei kann nach Belieben Daten von Dir erheben und verarbeiten.
Videoüberwachung und Gesichtserkennung
Im Grenzgebiet zu Tschechien und Polen können künftig gemäß § 59 Abs. 1 SächsPVDG technische Mittel zur Verhütung schwerer grenzüberschreitender Kriminalität eingesetzt werden. Das bedeutet, dass die Polizei den Verkehr bis zu 30km von der Grenze entfernt mit Bildaufzeichnungen überwachen und diese Daten automatisch mit anderen personenbezogenen Daten abgleichen kann. Darunter fällt auch die Gesichtserkennung. Das Gebiet umfasst Städte wie Bautzen, Görlitz, Löbau, Niesky, Weißwasser, Zittau, Pirna, Freiberg, Aue, Plauen und auch Teile von Dresden. Damit werden faktisch alle Straßen im Landkreis Görlitz, im Erzgebirge, in der Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge und große Teile Bautzens, Mittelsachsens und des Vogtlandes zu potentiellen Überwachungsgebieten. Außerdem kann künftig auch die Ortspolizei in den Gemeinden den öffentlichen Raum per Video überwachen.
Fanclubs aus o.g. Regionen, die gemeinschaftlich mit dem Auto zu Spielen fahren, werden so jedes Mal gescannt. Die Erfassung von bereits thematisierten Kontakt- und Begleitpersonen wird durch digitalisierte Videoverarbeitung deutlich vereinfacht. Von einem alltäglichen Generalverdacht der dort ansässigen Bürger- und Bürgerinnen mal abgesehen.
Bewaffnung
§ 40 Abs. 4 SächsPVDG sieht besondere Waffen für Spezialeinheiten vor: Maschinengewehre und Handgranaten sind dann zugelassen. Vorgesehen ist für die Spezialeinheiten außerdem die Einführung von neuer Munition, die darauf ausgerichtet ist, den Betroffenen zu überwältigen, ohne ihn dabei tödlich zu verletzen. Hierbei handelt es sich wohl um Gummigeschosse. Möglich wären unter dieser Formulierung aber womöglich auch sogenannte Taser (also Elektroschockpistolen) oder Munition, die betäuben oder bewusstlos machen soll.
Dass dies auch den Fußball betreffen könnte, hat sich zuletzt am 10.10.2018 beim Auswärtsspiel in Köln gezeigt: Dort waren mehrere Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) im Einsatz.
Störsender „Jammer“
Eine weitere neue Befugnis der sächsischen Polizei wird die Unterbrechung oder Verhinderung der Telekommunikation gemäß § 69 SächsPVDG sein. Das heißt, die Polizei darf einen Störsender (einen sogenannten „Jammer“) einrichten und so den Empfang oder das Senden einer Funknachricht unmöglich machen. Ausreichend dafür ist, dass zum Beispiel gewalttätige Ausschreitungen befürchtet werden.
Überwachung von Berufsgeheimnisträgern
Berufsgeheimnisträger dürfen eigentlich nicht überwacht werden. Dazu zählen Geistliche, Ärzte, Beratungsstellen, Mitglieder des Bundestages/Landtages und Journalisten. Wenn es zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für Leib, Leben und Freiheit einer Person oder den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist, soll dies gemäß § 77 Abs. 3 SächsPVDG nicht mehr gelten (einzige Ausnahme bilden hierbei die Rechtsanwälte — diese sind auch weiterhin geschützt). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Polizei auch vor Durchsuchung/Überwachung von Fanprojekten nicht mehr zurückschreckt, nun soll die rechtliche Grundlage dafür geschaffen werden.
Einrichtung Vertrauens- und Beschwerdestelle
§ 98 SächsPVDG sieht vor, dass eine Vertrauens- und Beschwerdestelle im Innenministerium einrichtet werden soll. Sie soll Vorwürfe gegen Polizeibeamte oder polizeiliche Maßnahmen untersuchen. Sie hat dabei aber weder dienstrechtliche noch fachaufsichtsrechtliche Befugnisse, sondern darf lediglich Empfehlungen aussprechen. Ob das allerdings zielführend ist, bleibt fraglich.
Keine Kennzeichnungspflicht
Auch weiterhin sieht das sächsische Polizeirecht keine Kennzeichnungspflicht für Polizisten vor. Das ist besonders problematisch, da es vorkommt, dass auch Polizisten im Dienst Straftaten begehen. Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Polizisten bei Fußballspielen ungerechtfertigte Körperverletzungen oder Beleidigungen begehen. Aufgrund der fehlenden Kennzeichnung können die Polizisten allerdings nicht identifiziert werden und eine strafrechtliche Verfolgung ist praktisch unmöglich.
Hier gibt es die Broschüre: Download (727 KB)
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