Vor einigen Wochen haben wir uns mit Ronald Beć, dem Geschäftsführer des Fanprojekt Dresden e.V. über Videotelefonie getroffen, haben über die aktuelle Situation im Fußball diskutiert, die geplanten Kürzungen Seitens des DFB bei Fanprojekten geredet, aber vor allem über seine Masterarbeit, die den Titel „Raus mit der Sprache“ trägt und sich mit den aktuellen Bemühungen um eine strafprozessuale Reformierung des Zeugnisverweigerungsrechts für Handlungsfelder Sozialer Arbeit befasst, unterhalten. Herausgekommen ist dabei ein kleines Interview für die Öffentlichkeit, welches wir Euch nicht vorenthalten wollen.
Schwarz-Gelbe Hilfe: Hallo Ronald, du bist nun schon seit einigen Jahren der „Chef“ vom Fanprojekt Dresden e.V., erzähl doch erstmal vorweg kurz, für alle die Dich nicht kennen, etwas zu deiner Person. Seit wann bist du Dynamofan? Wie wurdest du Sozialarbeiter und wie bist du zum Fanprojekt gekommen?
Ronald Beć: Zum Fußball gekommen bin ich über den ganz klassischen Weg: meine Eltern haben mich schon als kleines Kind immer wieder mit ins Stadion genommen. Die ersten bewussten Erinnerungen stammen aus der Saison 1992/93 und ich war damals schon ziemlich beeindruckt von dem ganzen Drumherum, den Fans, der Lautstärke, den ganzen Turbulenzen rund um den Verein in der damaligen Zeit. Ich kann mich noch entsinnen, dass an der Pinwand meines Kinderzimmers eine Dynamo-Bastelei hing mit einem Trauerflor und Bezug zu Rolf-Jürgen Otto, der der SGD fast das Genick gebrochen hätte. Richtig regelmäßig bin ich dann aber erst als Volljähriger zu den Spielen gefahren und habe dort auch viele Menschen kennen gelernt, mit denen mich bis heute enge Freundschaften verbinden. Allein schon aus diesem Grund bin ich sehr glücklich, irgendwann einmal in den Dynamo-Kosmos eingetaucht zu sein.
Ich habe nach einer Ausbildung mein Abitur nachgeholt und im Anschluss Soziale Arbeit studiert. Während und nach dem Studium habe ich einige Jahre in anderen Einrichtungen in Dresden gearbeitet. 2013 bin ich dann ins Fanprojekt gekommen, nachdem ich meinem jetzigen Kollegen Christian Kabs ein knappes Jahr lang ein Ohr abgekaut und unzählige Male mit ihm darüber gesprochen habe, ob man als Fan wirklich in einem Fanprojekt arbeiten sollte. Am Anfang war das auch schwierig, aber nach nunmehr acht Jahren weiß ich, dass es genau die richtige Entscheidung gewesen ist. 2018, nach dem Weggang von Fanprojekt-Gründer Torsten Rudolph, habe ich dann die Geschäftsführung in unserem Verein übernommen.
Fanprojekte sind ja ein immer wieder vielzitiertes Erfolgsmodell in der Sozialen Arbeit rund um den Fußballsport. Im bundesweiten Vergleich ist die Historie der Fanprojekte im Osten Deutschlands bzw. bei Dynamo Dresden eine eher jüngere Geschichte. Was macht die Arbeit eines Fanprojektlers aus? Siehst du aufgrund der geschichtlichen Entwicklung der Fanprojekte ein Defizit zum Vergleich zu deinen westdeutschen Kollegen?
Das sehe ich nicht so. Es gibt ja auch im Osten Fanprojekte, die sich sehr früh gegründet haben. Das Fanprojekt in Jena besteht beispielsweise schon seit 1991. Außerdem sind die Standorte auch völlig unterschiedlich. Da unterscheiden sich die Fußballvereine, die Fanszenen, aber auch die Struktur der Fanprojekte selbst voneinander. Viele Projekte sind z.B. bei großen Trägern wie der AWO oder der Caritas angegliedert, wir sind wie einige andere Fanprojekte ein eigenständiger, kleiner Verein. Ich kann also vordergründig nur für unseren Standort sprechen. Die Arbeit im Fanprojekt in Dresden macht aus, dass wir die Beteiligung von jungen Fans als die wichtigste Säule unserer Arbeit verstehen. Das fängt bei der Gestaltung der Treff-Angebote an, geht weiter über die sehr gute Zusammenarbeit mit euch von der SGH und zeigt sich nicht zuletzt auch in unserem Auswärtsfragebogen. Gerade mit dieser Umfrage nach jedem Auswärtsspiel haben wir in Deutschland wirklich ein Alleinstellungsmerkmal, auch wenn mittlerweile auch an anderen Standorten an ähnlichen Ideen gearbeitet wird. Letztlich hat sogar der DFB ein bundesweites Pilotprojekt gestartet, was sich stark an unserem Konzept des Fragebogens und der Spieltagsauswertung orientiert. Das ist schon besonders.
Ansonsten sind wir in ganz klassischen Bereichen der Jugendarbeit aktiv: offene Treffs, mobile Arbeit, Beratung, außerschulische Jugendbildung, Netzwerkarbeit, etc. pp. Zusammengefasst kann man sagen, dass wir junge Menschen in ihrem Alltag auf dem Weg ins Erwachsenwerden begleiten. Wichtig ist uns dabei, einen wertschätzenden und akzeptanzorientierten Umgang mit den Jugendlichen zu haben. Wir versuchen, den ganzen Menschen in den Blick zu nehmen und sind keine Umerziehungsanstalt.
Wie sehr hat sich eure Arbeit durch Corona verändert?
Ronald: Relativ stark, denn natürlich dreht sich bei uns sehr viel um den direkten, persönlichen Austausch. Da Fans bei Spielen ja aktuell außen vor sind, haben wir vorrangig im Fanhaus, telefonisch oder digital über Messenger Kontakt zu den Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Wir haben bereits nach dem ersten Lockdown unser Außengelände in den Blick genommen und ein paar Dinge organisiert, die es uns auch ermöglichen, bei kälteren Temperaturen in gemütlicher Atmosphäre zusammenzukommen. In der Phase des Lockdowns haben wir unseren Fantreff digital angeboten und mit verschiedenen Spielen oder Angeboten gestaltet. Ob „Fangruppe, Stadion, Verein“ im Stil von „Stadt, Land, Fluss“ oder ein Abend mit Gedichten in sächsischer Mundart – wir haben versucht, in dieser gerade für junge Menschen nicht einfachen Phase etwas Zerstreuung und Unterhaltung zu schaffen. Aber das ersetzt einfach keinen unmittelbaren persönlichen Austausch. Mittlerweile haben wir unseren Treff glücklicherweise wieder geöffnet, unter Berücksichtigung unseres Hygienekonzeptes ist das verantwortbar und vor allem für junge Fans absolut erforderlich, da sonstige Freizeitangebote fehlen. Wir sind da in engem Austausch mit dem Fanszene-Nachwuchs, um deren Wünsche und Ideen gemeinschaftlich umzusetzen. Das funktioniert wirklich großartig.
Aufgrund des Infektionsschutzes und einer Teilzulassung von Fans in Fußballstadien im Spätsommer und Herbst 2020 kam das Thema „personalisierte Eintrittskarten“ wieder stark in den Fokus. Hermann Winkler, Präsident des sächsischen Fußballverbandes, möchte diese Form der Eintrittskarten, für den Kampf gegen Pyro und Gewalt auf den Rängen, zu Fußballspielen auch nach dem Ende der Pandemie nutzen. Wir, als Schwarz-Gelbe Hilfe e.V., sprechen uns immer wieder gegen personalisierte Tickets aus. Wie siehst du das? Sind personalisierte Tickets ein geeignetes Mittel zur Gewaltprävention?
Nein, neben den datenschutzrechtlichen Bedenken ist auch die Erwartungshaltung, hier gewaltpräventiv irgendeine Wirkung zu erzielen oder Strafverfolgung zu erleichtern, völlig an der Realität vorbei. Man sollte nach wie vor nicht vergessen, dass Fußballstadien in Deutschland extrem sichere Orte sind. Derartige Pläne und die massenhafte Verarbeitung von Daten sind daher aus meiner Sicht absolut unangemessen. Allein die aktuellen Diskussionen um die 1.000 neuen Einträge in der Datei „Gewalttäter Sport“ zeigen doch, dass im Fußballkontext sowieso schon Unmengen an Informationen und Daten von Fans gespeichert werden – teils mit gravierenden Folgen für die Beteiligten.
Welche weiteren Gefahren siehst du aufgrund der aktuell leeren Ränge in unmittelbarer Zukunft für die Fankultur bei Dynamo Dresden? Wird die Zeit nach Corona ein Stimmungsmotor sein oder haben sich in deinen Augen viele Fans vom Profisport aufgrund diverser Fehlverhalten Seitens Vereins- und Verbandsfunktionären endgültig den Rücken gekehrt?
Das ist sehr schwer wirklich seriös zu beantworten. Natürlich gibt es auch Fans, die jetzt seit über einem Jahr ihre Wochenenden nicht mehr für Fußballspiele und Auswärtsfahrten nutzen und vereinzelt führt das vielleicht auch dazu, dass sich Fans neu orientieren. Ich denke aber, dass insbesondere die Fanszene der SGD so mit dem Verein verbunden ist, dass es dort keinen Aderlass geben wird. Insgesamt sind aber die Entwicklungen im Profifußball, Stichwort Katar, „Sommermärchen“, Korruption, etc. derart dynamisch, dass man es eigentlich niemandem verdenken kann, wenn man davon die Nase voll hat.
Durch die Corona-Pandemie und vor allem der finanziellen Bewältigung dieser Krise drohen den sozialen Einrichtungen in Zukunft massive Kürzungen durch Kommunen, Ländern und dem Bund. Auch der DFB kündigte im September Kürzungen in der sogenannten Drittel-Finanzierung der Fanprojekte an, sprach gar von einem Ausstieg aus der Förderung von sozialen Einrichtung unterhalb der Dritten Liga. Wie siehst du diese zukünftige Situation? Welche Auswirkungen hätten solche Kürzungen auf eure Arbeit? Siehst du die einzelne Fanprojekt-Standorte gar in Gefahr?
In seiner Präsidiumssitzung im März hat der DFB den eigenen Beschluss wieder kassiert und eine Förderung der Fanprojekte bis Ende 2022 zugesichert. Vom DFB wurde ein „Reformprozess“ ausgerufen, der eigentlich nur vom Verband selbst als notwendig gesehen wird. Er hat dafür von vielen Seiten Kritik einstecken müssen, egal ob aus der Politik, aus den Ländern oder Kommunen. Aber insbesondere von vielen Fans. Bislang ist nicht klar, was mit „Reformprozess“ gemeint ist, unter dem Strich liegt aber die Vermutung nahe, dass ein wesentlicher Punkt durchaus die Finanzierung für den DFB ist, auch wenn dies bislang noch nicht in der Klarheit formuliert wurde. Man muss sehen, wie sich diese Diskussion in den kommenden Monaten entwickelt. Ich denke, bis zum September wird es hier Klarheit geben.
Kommen wir nun auf deine Masterarbeit, welche den Titel „Raus mit der Sprache“ und den Fokus auf Bemühungen um eine strafprozessuale Reformierung des Zeugnisverweigerungsrechts für Handlungsfelder Sozialer Arbeit hat, zu sprechen. Wie bist du auf dieses Thema gekommen?
Wir waren im Fanprojekt in den vergangenen Jahren mehrfach mit der Situation konfrontiert, dass Ermittlungsbehörden Informationen von uns erhalten wollten, die wir ihnen weder geben konnten noch durften. Durch den großen Fokus der Sicherheitsbehörden auf Fußballfans geraten Fanprojekte natürlich schnell ins Blickfeld von Ermittlungen, sodass wir uns hier deutschlandweit strukturiert aufstellen müssen. Aber es betrifft auch andere Handlungsfelder in der Sozialen Arbeit, z.B. Opferberatungsstellen, Streetworkangebote, Ausstiegsprogramme für Extremisten, etc. Diese Diskussion ist seit den frühen 70ern immer wieder im Bereich der Sozialen Arbeit aufgekommen und durch die Fanprojekte ist es nun wieder ein wichtiges fachliches Thema geworden. Mittlerweile setzen sich auch Politikerinnen und Politiker auf Landes- und Bundesebene mit dem Thema auseinander, aber es wird noch ein jahrelanger Prozess bleiben, bis wir hier zufriedenstellende Erfolge feiern können.
Da es wenig Literatur und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema gibt, war es mir wichtig, das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht für die Praxis zu untersuchen, um so auch einen Teil in dieser Diskussion beizutragen. Aus diesem Grund habe ich das Thema gewählt.
Das war der erste Teil des Interviews, seid gespannt auf den 2. Teil.