Mit den tumultartigen Szenen und Auswirkungen rund um das entscheidende Aufstiegsspiel der SG Dynamo Dresden im Magdeburger Heinz-Krügel-Stadion am 16.04.2016 beschäftigt sich die Schwarz-Gelbe Hilfe bis zum heutigen Tag. Mit der kollektiven Aussperrung von mehr als eintausend Fans der schwarz-gelben Kicker, den willkürlich ausgesprochenen Stadionverboten von Seiten des 1. FC Magdeburg, dem juristischen Nachspiel aufgrund vermeintlich strafbarer Handlungen einiger mitgereister Fans, aber auch der massiven Polizeigewalt rund um diesen Spieltag beschäftigten sich bis heute etliche Behörden, Gerichte und sogar Länderparlamente.
Leider konnten bisher wenige positive Ergebnisse erzielt werden. Die parlamentarische Aufarbeitung endete bei uns mit vielen Fragezeichen. Die Flut an Anklageschriften gegen Dynamofans ebbt derzeit kaum ab und bisher gesprochene Urteile sind teilweise haarsträubend. Im Gegensatz dazu stehen eingestellte Ermittlungsverfahren trotz schwerwiegender Vorwürfe gegen eingesetzte Beamte der Polizei. Umso erfreulicher ist nun der Fall des Dynamofans Andre Lesiak*: Im Sommer 2018 erhielt das Mitglied der Schwarz-Gelben Hilfe Post vom Amtsgericht Dresden. Im Umschlag befand sich die Anklageschrift. Darin wurde Andre vorgeworfen, an oben genannten Tag einen Polizeibeamten getreten und somit eine Körperverletzung, strafbar nach § 223 StGB, begangen zu haben.
Nachdem wir ihm eine Anwältin vermitteln konnten, folgte die übliche Prozedur. Der Rechtsbeistand beantragte Akteneinsicht, um die von der Polizei gesammelten Beweise zu sichten und zu prüfen. In einem der Polizeivideos ist Andre Lesiak zu sehen. Es gibt unmittelbar vor dem Eingang zum Gästeblock einen Tumult in einer Menge aus Dynamofans und Polizisten. Im Hintergrund knieen Sanitäter und scheinen jemanden zu versorgen. Dynamofan Andre Lesiak ist zu sehen. Vor ihm ein Polizist in Aktion. Andre macht eine Körperdrehung, seine Beine verschwinden zwischen anderen Personen. Der Polizist stoppt sein Handeln. Genau da soll der Tritt stattgefunden haben — die ihm vorgeworfene Körperverletzung. Die Sequenz dauert keine fünf Sekunden, die vermeintliche Handlung den Bruchteil einer solchen.
Hätte dieses Video vor Gericht bestand? Das vermeintliche Opfer, der getretene Polizist, ist als Zeuge geladen. Aus Erfahrung wird den Aussagen sogenannter Berufszeugen vollumfänglich Glauben geschenkt. Ein Verurteilung scheint vorprogrammiert zu sein. Doch im Video fällt der Anwältin etwas auf — ein weiterer Dynamofan hält direkt neben der Situation eine Kamera. Sie beginnt zu recherchieren und stößt in einem Internetvideoportal auf den Trailer der Saison-DVD 2015/16 produziert von “ElbkaidaTV”. Im letzten Drittel des Videos erkennt sie einen Ausschnitt aus Magdeburg. Sanitäter versorgen im Hintergrund einen Menschen, im Vordergrund attackiert ein Polizist umstehende Dynamofans — Ende der Sequenz. Es ist das gleiche Szenario wie im Polizeivideo, nur aus einer anderen Perspektive. Nach einem kurzen Schriftverkehr mit den Machern der Saison-DVD werden die wichtigen Ausschnitte der Anwältin zugespielt.
1. Februar 2019 — Amtsgericht Dresden — die Gerichtsverhandlung beginnt. Die Anklageschrift wird verlesen. Das Polizeivideo wird sich angeschaut. Der Polizist und sein vermeintliches Opfer sagen aus. Auch vor Gericht bestätigt der Beamte auf Nachfrage die Körperverletzung. Er hätte einen Tritt im Unterleib gespürt, mit einem lang anhaltenden Druckschmerz, der erst nach Tagen allmählich verschwand. Da er im gesamten Einsatz nicht weiter körperlich attackiert wurde, käme nur dieser Tritt in Betracht. Zusätzlich zu seiner Aussage stellt er auch noch einen Adhäsionsantrag. Damit macht er nun zivilrechtliche Ansprüche, sprich Schmerzensgeld, im Strafverfahren geltend. Auf Nachfragen der Verteidigerin Andre Lesiaks antwortet der Polizist souverän und siegessicher. Mit der Entlassung des Polizisten aus dem Zeugenstand ist die Anwältin nicht einverstanden. Er muss den Saal verlassen. Es wird ein Beweisantrag gestellt — besagter Videoausschnitt aus der Saison-DVD. Das vermeintliche Opfer stürmt hervor, Tritt einen nebenstehenden Fan, schlägt wild um sich und stoppt erst als ein weiterer Beamter ihn an die Schulter greift. Des Weiteren sind einige Beine zu sehen. Zwei davon, welche durch die Schuhe und Hose als Andre Lesiaks identifiziert werden können, drehen sich ein — er holt jedoch nicht um zum Tritt aus, sondern geht in eine Schutzhaltung. Das Video beweist, dass der Polizist gelogen hat. Er wurde nicht getreten — jedenfalls nicht in dieser Situation. Als er wenig später wieder in den Zeugenstand gerufen wird und das Video sieht, widerruft er sofort seine Aussage und zieht seinen Adhäsionsantrag zurück. Kleinlaut entschuldigt er sich bei Dynamofan Andre Lesiak. Der Amtsrichterin bleibt nichts anderes übrig, als den Angeklagten freizusprechen. Andre Lesiak fällt ein Stein vom Herzen.
Ohne das entlastende Videomaterial wäre Andre Lesiak nur auf Grund der Aussage des Polizisten wegen einer Körperverletzung verurteilt worden. Einer Tat, die er tatsächlich jedoch nie begangen hat. Als Reaktion auf das Urteil entschied sich Andre Lesiak in Absprache mit der Anwältin den Polizisten wegen falscher Verdächtigungen nach §164 StGB anzuzeigen. Der vermeintliche Freund und Helfer, Hüter von Recht und Ordnung, hätte in diesem Fall eine Verurteilung billigend in Kauf genommen.
Eure Schwarz-Gelbe Hilfe
*Name durch die SGH geändert
Bildquelle: bultras.net